Kerstin Plehwe: Die oberste Ranger-Regel! – Wolfsmonitor

Kerstin Plehwe: Die oberste Ranger-Regel!

…“Vorerst müssen wir Möchtegern-Ranger aber die unvermeindlichen Instruktionen zum Verhalten im Camp kennenlernen. John und Dean, der Chef-Ranger, erklären uns, worauf es zum einen im Camp, zum anderen da draußen (sprich: außerhalb des Camps) ankommt.

Eine Regel, die oberste Regel (es gibt noch andere, die sind aber nicht so existenziell) beeindruckt mich besonders, ist sie doch von meinem bisherigen Denken und Handeln meilenweit entfernt. Diese Regel Nummer eins lautet: Was auch immer du tust, Rennen ist tabu. (Auf Englisch klingt das irgendwie besser: Whatever you do, don`t run). Das gilt vor allem für Situationen, in denen man Tieren in freier Wildbahn begegnet.

Auf keinen Fall darf man beim Anblick beispielsweise eines Löwen seinem Instinkt nachgeben und weglaufen. Denn eines ist von vorneherein klar: Nahezu jedes Tier „da draußen“, nicht nur Löwe, Leopard und Co., ist uns Menschen in puncto Geschwindigkeit haushoch überlegen. Die meisten zudem in puncto Stärke. Sollte also der Mensch auf die Idee kommen wegzurennen, so wird beim Tier, so wird uns erklärt, ein naturgegebenes Programm angestoßen.

Es lautet: Jagd. Was wegläuft, ist tendenzielle Beute. Also lernen wir: Immer stehen bleiben und auf die Befehle des Rangers hören. Nie die Augen vom Angreifer nehmen, und erst wenn die Situation sicherer geworden ist, langsam rückwärts den Rückzug antreten.

Im Job sieht es bei mir anders aus, wohl auch bei all den anderen Managern. Hetzen und rennen tue ich oft, vor allem in Flughäfen, letzte Minuten vor dem Boarding. Und ansonsten sind wir im Job meist die Alphatiere, verhalten uns dominat und sind uns unserer Stärke bewusst. Wenn uns jemand angreift, beantworten wir das mit Status, Kompetenz oder beidem. Entsprechend schwer ist es für mich, im Busch nicht mehr das Sagen zu haben. Hier, im Busch, ist es genau andersherum, hier bin ich das schwächste Glied in der Kette.

Ich frage, ob das Stehenbleiben auch gilt, wenn ein Leopard oder Löwe mit eindeutigem Angriffsabsichten auf uns zurennt. Leoparden greifen zum Beispiel mit bis zu sechzig Stundenkilometer an. Glücklicherweise halten sie diese Geschwindigkeit nur auf kurze Distanzen, aber für uns Menschen reicht es leicht. Die Schnelligkeit eines Leoparden ist Lichtjahre von uns entfernt.

Die Antwort ist immer: „Whatever you do, don`t run.“  Niemals. Wer rennt ist tot. Wenn ein Tier einen Angriff simuliert oder auch real durchführt, hilft nur eines: Sich groß machen, laut werden, und wenn es nicht anders geht: schießen. Der Ranger hat aufgrund der Angriffsgeschwindigkeit vieler Tiere meist nur einen Schuss. Und der muss sitzen. Deswegen muss er auch mehr als nur gut schießen können, eine Lektion, die zum Glück noch weit vor uns liegt.“ …

NÄCHSTE WOCHE: DIE ZWEITE RANGER-LEKTION!


Zitiert aus dem Buch „Die Weisheit der Elefanten – Was ich als Rangerin im Krüger- Nationalpark fürs Leben lernte“ von Kerstin Plehwe, erschienen 2013 im Piper Verlag München/Berlin, aktualisierte Taschenbuchausgabe 2015, Seite 51 f., für weitere Informationen klicken Sie bitte auf nachfolgendes Buchcover: