These 2: Zur Entwicklung eines wirksamen Wolfsmanagements müssen wir ein anderes Ausgangsszenario zu Grunde legen (den nicht harmlosen, also gefährlichen Wolf). Wir müssen dazu eine Diskussion führen, die sich nicht ausschließlich auf Forschungsergebnisse sondern auch auf Erfahrungen stützt, keinen bekannten Blickwinkel auslässt, nichts beschönigt und nichts verschweigt und mögliche renitente Einzelwölfe und Wolfsrudel umfassend in die Betrachtung einbezieht.
Die Diskussion über den Wolf wird – so kommt es einem beim Blick in viele Medien vor – immer intensiver und emotionaler geführt. Gerade lokale Zeitungen nehmen das Thema – selbst dort, wo es noch keine Wölfe gibt – häufig dankbar auf die Tagesordnung und stricken aus einer vermeintlichen Wolfsfährte ganze Serienberichte: „War es ein Wolf?“ – „Wie lange dauert es noch, bis der Wolf auch bei uns in „Kleinkleckersdorf“ wieder heimisch ist?“ – „Wie sind wir auf den Wolf vorbereitet?“ So liest sich das dann in etwa….
Manchmal würde man als Außenstehender in der hoch emotional geführten Diskussionen zwischen den Wolfsliebhabern, die oft den Eindruck erwecken, als würden sie die Wölfe – wenn sie denn nur könnten – vor Liebe gar erdrücken, den Wolfsgegnern, die manchmal ihren Hass auf das Tier auch in der Öffentlichkeit nur schwer unterdrücken können sowie den unsicheren Ängstlichen, gerne an die Werbung eines Fernsehsenders erinnern, die da heißt: „Mit dem Zweiten sieht man besser.“ Denn auf einem Auge scheinen die jeweils anderen blind zu sein.
Dieses Phänomen scheint es auch bei einigen Akteuren im Wolfsmanagement zu geben. Es heißt landläufig, dass Wölfe scheu, ängstlich und somit für Menschen völlig ungefährlich seien. Das ist grundsätzlich richtig und entspricht unseren langjährigen Erfahrungen mit wenigen Wölfen in überwiegend gering besiedelten Regionen. Ständig wird zudem wiederholt, dass es in den letzten 50 Jahren nur 9 (wissenschaftlich dokumentierte) tötliche Angriffe von Wölfen auf Menschen gegeben habe. Nun ja, dem kann man – natürlich unseriös und völlig überzogen – entgegenhalten, dass es in den letzten 70 Jahren keine einzige militärische Aggression auf unser Land gegeben hat – und trotzdem 180.000 Soldaten täglich ihren Dienst versehen. Militärische Bedrohungsanalysen werden – so scheint es – wesentlich professioneller vorgenommen als – in unserem Beispiel – Gefährdungsanalysen über Wildtiere. Sitzen im Verteidigungsministerium demzufolge die besseren Manager? Es geht aber auch eine Nummer kleiner: Warum versichern wir uns gegen alles Mögliche, obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schadensfall unsere Existenz vollends zerstört, äußerst klein ist?
Professionelles Management- und ich gehe einmal davon aus, dass alle am Wolfsmanagement Beteiligten und Verantwortlichen den Anspruch erheben, professionell zu agieren- hat stets auch unterschiedliche Zukunftsszenarien bis hin zum unwahrscheinlichen, aber trotzdem nicht unrealistischen Ereignis im Blick zu haben. Mit einem „Worst-Case-Szenario“ – in unserem konkreten Fall also einer Wolfsattacke auf einen Menschen – kann man sich bereits im Vorfeld auf das schlimmste denkbare Ereignis vorbereiten. Dieses gedankliche Vorwegnehmen negativer Überraschungen und die vorbereitende Planung angemessener Reaktionen darauf, führen bestenfalls zur Sicherstellung der akuten Handlungsfähigkeit für diesem schlimmsten anzunehmenden Fall. Schäden an Personen zu vermeiden oder wenigstens zu begrenzen, muss ein offen kommuniziertes Ziel eines funktionierenden Wolfsmanagements in Deutschland sein. Daher müssen eine Wolfsattacke auf einen Menschen und die Reaktionen darauf bereits heute durchdacht und in die Planung aufgenommen werden – denn niemand kann sie seriös ausschließen. Eine derartige Attacke würde – einmal abgesehen von der geschädigten Person – die mühselig erarbeitete aber immer noch sehr labile Akzeptanz des Beutegreifers in der Bevölkerung mehr als gefährden.
Denn es gibt sehr wohl andere Erfahrungen, als die vom harmlosen Wolf. Diese lassen deutlich darauf schließen, dass Wölfe nicht zwangsläufig scheu und ungefährlich sind. Gefährliche Situationen mit Wölfen kündigen sich jedoch – und das ist eine Chance –in der Regel lange vorher an (ich habe bereits an anderer Stelle (siehe These 1) darauf hingewiesen). Derlei Erfahrungen dürfen nicht – wie bisher – als unwissenschaftlich zur Seite geschoben werden – auch wenn ihr wissenschaftlicher Wahrheitsgehalt abschließend noch nicht einschätzbar ist – sondern sollten umfassend als „Worst-Case-Szenario“ in die Wolfsmanagementpläne einfließen und den operativen Handlungsrahmen der verantwortlichen Akteure vor Ort bereits im Vorfeld eines Ereignisses festlegen. Selbst der so genannte NINA-Report (NINA steht für „Norsk institutt for naturforsking“), der im Jahr 2002 von 18 renommierten Wissenschaftlern veröffentlicht wurde und auf den sich die häufig zu hörende Zahl „9 tötliche Wolfsangriffe in den letzten Jahrzehnten“ bezieht, empfiehlt, Reaktions- und Notfallpläne auszuarbeiten, um schnell handeln zu können, wenn Wölfe sich zu sehr an Menschen annähern. Dabei ist es wichtig, dass im Ernstfall unmittelbar und unbürokratisch durch einen kundigen Verantwortlichen vor Ort (und eben nicht durch anwesende Vertreter der Sicherheitsbehörden, wie z.B. durch die Polizei) entschieden werden darf, wie mit einem „auffälligen“ Tier oder Rudel zu verfahren ist. An dieser Stelle kann als positives Beispiel abermals die freiwillige Feuerwehr dienen. Der Ortsbrandmeister entscheidet in der Regel, mit welchem Löschverfahren er ein Feuer bekämpft. Er muss sich dazu vorher nicht erst in der Landeshauptstadt bei einer vorgesetzten Dienststelle rückversichern.
In der Folge müssten die bereits heute oder in Zukunft eingesetzten Wolfsberater, bzw. Wolfsbetreuer durch weiterqualifizierende Bildungsmaßnahmen in die Lage versetzt werden, diese Aufgabe erfüllen zu können und mehr zu sein als – überspitzt gesagt – „ehrenamtliche Monitoring-Sachbearbeiter zur nationalen Umsetzung einer EU-Richtlinie“.
Richtig kommuniziert dürften mit Reaktions- und Notfallplänen versehene Managementpläne sowie mit ausreichend Handlungsspielraum ausgestattete „Wolfsexperten“ vor Ort vertrauensbildend auf Wolfsgegner und ängstliche Mitbürger wirken. Diese würden nun erkennen, dass ihre Bedenken ernst genommen werden, da jederzeit professionell ausgebildete Experten vor Ort einsatzbereit sind. Und das ist mehr als wünschenswert. Schließlich wird von rund 80 Millionen Menschen in Deutschland nicht weniger verlangt, als ein friedliches Nebeneinander von Wolf und Mensch zu akzeptieren.
Herzlichst
Ihr
Jürgen Vogler
Hier geht es zur These 1
Hier geht es zur These 3