Hélène Grimaud: Merkwürdige Ähnlichkeiten bei Frauen und Wölfen – Wolfsmonitor

Hélène Grimaud: Merkwürdige Ähnlichkeiten bei Frauen und Wölfen

…“Sollte die Furcht vor dem Wolf Europa bei der Gurgel packen? Vielleicht handelt es sich ja auch bloß um eine französische Krankheit. In Italien und Spanien (wo etwa zweitausend Wölfe gezählt worden sind) verhütet die Anwesenheit von Schäfern mit ihren Hunden Verluste in den Herden. Seit langem lebt der canis lupus dort in einträchtiger Gemeinschaft mit dem Menschen, dem Bären, den Schafen und vielen anderen Tierarten.


Zufall? Die Wölfe und die ungezähmten Frauen haben den gleichen Ruf. Laut Clarissa Pinkola Estés weist die Geschichte der Wölfe hinsichtlich Leidenschaftlichkeit und Mühsal merkwürdige Ähnlichkeiten mit derjenigen der Frauen auf. Und Wölfe und Frauen haben in der Tat gewisse psychische Eigenschaften gemeinsam:


geschärfte Sinne, Spieltrieb und eine extreme Fähigkeit zur Aufopferung.


Vor allem aber wird gegen Frauen und Wölfe die gleiche feindselige Gewalt, Ergebnis ein und desselben Missverständnisses, ausgeübt. Als Sirenen oder Hexen wurden sie bestraft für ihr ursprüngliches, unverfälschtes, wesensmäßiges Verhältnis zur Natur. Man wollte ihre verschüttete Erinnerung an den Garten Eden verstümmeln, an den die Schönheit und der Verlust manchmal merkwürdige Erinnerungen und machtvolle Intuitionen wachrufen. Manche sind verbrannt, andere verbannt worden. Wieder bei anderen streckt und schüttelt sich ihr Schatten, wenn sie im Mondlicht laufen, wie der einer Wölfin. Das sind jene, die ungehemmt lachen und lieben, gebären und erschaffen, sich an ihren Formen freuen und an dem warmen Blut, das aus ihren Körpern strömt; und die instinktiv die Heilkräfte eines jeden Krauts und das Gift der Früchte kennen.

Es sind jene, die die cantadoras Amerikas besingen, „die Frau, die am Ende der Zeit lebt“, oder „die Frau, die am Rand der Welt lebt“. Diese Frau, diese Wölfin bleibt Freundin und Mutter der Verirrten, derer, die wissen wollen, die ein Rätsel zu lösen haben, die durch die Wüste oder den Wald irren, auf der Suche nach einer Antwort, einem Zeichen, einer Hoffnung.“…

(Zitiert aus Hélène Grimauds „Wolfssonate“, 10. Auflage der Deutschen Erstausgabe Mai 2006 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München, Seite 222 bis 223, für weitere Informationen zum Buch klicken Sie bitte auf nachfolgendes Buchcover!)