Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) hatte geladen und rund 400 Besucher hatten sich auf den Weg zur dreitägigen Konferenz nach Wolfsburg gemacht. Auch ich war unter ihnen, neugierig auf das vielversprechende Programm. Mein Tag begann allerdings, wie er in letzter Zeit häufiger endete: mit einem verspäteten Zug der Deutschen Bahn.
Ernüchterung machte sich bei mir breit – der letzte Shuttle, der die Besucher vom Bahnhof zum wenige Kilometer entfernten Veranstaltungsort, dem MobileLifeCampus, bringen sollte – fuhr, so stand es in den Konferenzunterlagen, um 12.00 Uhr. Mein Zug traf nun allerdings erst 15 Minuten später in Wolfsburg ein. Mist! Und dann – und das war ein erster Hinweis auf das, was organisatorisch noch folgen sollte – wartete tatsächlich noch ein Shuttle-Bus auf die drei letzten verspäteten Gäste aus Richtung Amsterdam und transportierte uns zum Zielort. Prima!
Ich muss kurz anmerken, dass ich in meinem früheren Berufsleben selbst zahlreiche Veranstaltungen und Konferenzen organisieren durfte, von zahllosen kleinen Arbeitskreisen bis hin zu Konferenzen in ähnlicher Größenordnung. Mit der Zeit entwickelte sich deshalb bei mir ein Blick für diese kleinen organisatorischen Dinge, die wie Nebensächlichkeiten klingen, aber letztlich den professionellen Unterschied ausmachen. Das Ergebnis war– wie ich bereits betonte- prima!
Die ganze Zugfahrt über habe ich mir dann noch überlegt, in welchem Stil ich von der Konferenz berichte. Namhafte TV-Sender und Lifestreams waren schließlich angekündigt, Also entschloss ich mich, das zu tun, was Blogger üblicherweise so machen. Subjektiv zu berichten. Das erlaubt mir, Dinge wegzulassen (die Agenda der Konferenz kann sich schließlich jeder im Internet herunterladen) und nur das zu betonen, was mir persönlich gut gefallen hat. Außerdem entschied ich, einige selbstgemachte Fotos von der Konferenz zu präsentieren. Einige, die zeigen, was auf der Bühne stattfand und einige, die den Blick auf die Ereignisse neben der Bühne lenken.
Doch nun geht’s endlich mit den Inhalten des ersten Konferenztags los:
NABU Präsident Olaf Tschimpke, Dr. Thomas Steg (VW) und der Umweltminister Niedersachsens, Stefan Wenzel, begrüßten die rund 400 Konferenzteilnehmer. Es wurde dabei nicht verschwiegen, dass die in der Presse als „Dieselgate-Affäre“ bezeichneten Ereignisse der letzten Tage die langjährige Kooperation zwischen VW und NABU durchaus belastet.
Fünf interessante Vorträge folgten bis zur ersten Kaffeepause. Meine persönlichen Highlights:
Dr. Elsa Nickel vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit betonte in ihrem Vortrag, dass es ihrer Ansicht nach für die wenigen auffälligen Exemplare „keinen Wolf im Jagdrecht brauche“. Außerdem skizzierte sie die Aufgaben des geplanten „Bundeskompetenzzentrums Wolf“: Dazu gehören die zentrale Auswertung und die anschließende Kommunikation der Monitoringdaten, die Koordinierung notwendiger Maßnahmen bei auffälligen Wölfen, Präventionsunterstützung vor Wolfsübergriffen auf Nutztiere, die Unterstützung der Bundesländer im Wolfsmanagement, die Aufgabe als Anlauf- und Informationsstelle für besorgte Bürger und die Presse sowie die Koordination der internationalen Zusammenarbeit.
Ilka Reinhardt vom LUPUS Institut für Wolfsmonitoring und –forschung stellte die unterschiedlichen Schutzstati und die Verbreitung der Wölfe in Europa dar. Sie betonte, dass es ihrer Ansicht nach eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, darüber zu befinden, wie viele Wölfe Deutschland letztlich haben möchte.
Dr. Michel Manfredo von der Colorado State University verwies darauf, dass alle Konflikte zwischen Wölfen und Menschen eigentlich Stellvertreterkonflikte zwischen den unterschiedlichen Werten verschiedener menschlicher Interessengruppen seien. Im Wolfsmanagement müsse man nur zu 10 Prozent die Wölfe, jedoch zu 90% die Menschen „managen“.
Nach einer Pause, in der das Networking im Vordergrund stand, bot die Agenda einen echten Höhepunkt der Konferenz:
L.David Mech, der wohl bekannteste Wolfsforscher der „westlichen Hemisphäre“, erörterte den aufmerksamen Teilnehmern seine spannenden Erkenntnisse, die er aus der Wiederansiedelung von Wölfen im Yellowstone-Nationalpark zog. Ein mehrminütiges Video, das die Separierung eines Hirsches aus einer ganzen Herde und die anschließende Hetze des vermeintlichen Rissopfers von zwei jungen Wölfen zeigte, beeindruckte viele Anwesende zutiefst, wie die sich anschließenden Gespräche später zeigten.
Der informative und äußerst interessante erste Konferenztag wurde mit einer von Horst Kläuser (Chefreporter WDR Hörfunk) moderierten Podiumsdiskussion beendet. Dr. Elsa Nickel (BMU), Stefan Leiner (EU), Prof. Dr. Gerhard Prätorius (VW) Dr. L. David Mech, Prof. Dr. Ilse Storch (Uni Freiburg) und Dr. Eick von Ruschkowski (NABU) stellten sich den Fragen des Moderators und des Publikums.
Dr. Nickel erörterte, dass beim Management von Wildtieren den Tieren mehr Freiräume zugesprochen werden müssten, auch die Land“schaft“ müsse nicht „geschaffen“ werden sondern solle einfach mal „gelassen“ werden. Manchmal müsse man Natur einfach mal zulassen. Außerdem verwies sie darauf, dass es ihrem Ministerium besonders wichtig sei, die Nutztierhalter zu unterstützen. Man brauche ihrer Ansicht nach dafür allerdings keine 16 verschiedenen Methoden in allen 16 Bundesländern.
Stefan Leiner erklärte, dass der zurzeit bei der EU durchgeführte „Fitness-Check“ vor allem dazu diene, einzelne Punkte der FFH-Richtlinie zu optimieren, also zu verbessern. Außerdem habe ihm bisher niemand eine wirklich schlüssige Erklärung dafür bieten können, warum der Schutzstatus des Wolfes verändert werden müsse, er also begründet vom Anhang IV in den Anhang V der Richtlinie überführt werden solle. Man könne bereits heute – mit guten Argumenten – national über die eventuelle Entnahme einzelner Wölfe auch zur Erhöhung der Akzeptanz in der Bevölkerung befinden.
Dr. von Ruschkowski verwies darauf, dass noch wichtige Management- und Monitoringbausteine in den Bundes- und Landesstrukturen fehlten. Hier müsse nachgebessert werden, damit beides künftig besser funtionieren kann. Auch müsse darüber nachgedacht werden, ob es überhaupt möglich sei, die mit der Wolfsrückkehr verbundenen Herausforderungen allein mit Ehrenamtlichen zu bewältigen. Hier habe er so seine (begründeten) Zweifel.
L.David Mech verwies auf eine Frage hin darauf, dass durchschnittlich 16% der Mortalitätsrate bei Wölfen auf illegale Tötungen zurückzuführen seien.
Nachdem zum Ende hin verschiedene Zuschauer, darunter auch ein Jägerschaftsvertreter aus Brandenburg und eine Vertreterin des Bauernverbandes, ihre Fragen ans Podium gestellt hatten und außerdem der Welt-Kolumnist und Buchautor Eckhard Fuhr aus dem Publikum heraus einen Wortbeitrag zusteuerte in dem er anmerkte, er vermisse seit Jahren sichtbare Problemlösungsfortschritte, stellte Stefan Leiner von der EU-Kommission abschließend eine markante Frage: Er würde gern wissen, ob Wölfe durch Bejagung wirklich scheuer würden. Bisher habe ihm keiner diese Frage zufriedenstellend beantworten können.
Darüber wird sicherlich auch am zweiten Tag auf der Konferenz heiß diskutiert werden.
Bis dahin!
Herzlichst
Ihr
Jürgen Vogler