Bedingungen zur Akzeptanz von Wölfen – These 3 – Wolfsmonitor

Bedingungen zur Akzeptanz von Wölfen – These 3

These 3: Wir brauchen ein integrierendes Managementkonzept, das sich an den gemeinsamen Interessen aller Bevölkerungsgruppen und besonders Betroffenen ausrichtet. Es sollte insbesondere auch ängstliche Menschen berücksichtigen.

Bedingungen zur Akzeptanz des Wolfes
„Allerdings war uns klar, dass die besten Gesetze nichts nutzen würden, wenn die einheimische Bevölkerung den Wolf nicht als Mitbewohner ihres Gebietes akzeptierte. Daher mussten wir auch die Einstellung der Menschen im Wolfsgebiet erkunden und herauszufinden suchen, unter welchen Bedingungen sie den Wolf zu akzeptieren bereit wären.“

Diese Zeilen schrieb Erik Zimen, als er gemeinsam mit Luigi Boitani, dem heutigen Vorsitzenden der „Large Carnivore Initiative“ und der Wolf Specialist Group der IUCN, Anfang der 70 `er Jahre des letzten Jahrhunderts für den WWF ein Forschungsprojekt an freilebenden Wölfen in den italienischen Abruzzen durchführte. Nachzulesen sind die Sätze auf der Seite 376 in seinem vielbeachteten Buch „Der Wolf“, das 1990 erschien.
Und weiter notierte er: „Die Befragung ergab nun sehr deutlich, dass die Einstellung zum Wolf weitgehend abhängig war von den Interessen, welche die Befragten an den verschiedenen Alternativen für die künftige Entwicklung dieser Bergregion hatten.“… „Die Befragung machte deutlich, dass Naturschutzarbeit auf die Dauer nicht gegen die Interessen der einheimischen Bevölkerung operieren kann, und seien sie noch so fragwürdig“…. „Die Menschen dürfen nicht das Gefühl bekommen, auch die Naturschützer seien einige von „denen da oben“, die, ohne sie zu fragen, bestimmen, was in ihrer Gegend passieren soll.“ (Zimen, Der Wolf, S. 376 ff.)


Diese Sätze haben – obwohl sie bereits mehrere Jahrzehnte alt sind – an Aktualität nichts verloren. Im Gegenteil. Die zentrale Frage scheint auch heute zu sein: „Unter welchen Bedingungen ist die Bevölkerung bereit, den Wolf in Deutschland zu akzeptieren?“
Wir wissen heute, dass es vor allem die in direkter Nachbarschaft mit dem Wolf lebenden Bevölkerungsteile sind, die ernstzunehmende Bedenken gegen den Wolf haben und diese auch entsprechend äußern. Egal ob Nutztierhalter, Haustierbesitzer, Jäger, Tourismusmanager oder die übrigen Bewohner des ländlichen Raums, dem Motto des Naturschutzbundes „Willkommen Wolf“ mögen sich aus diesen Kreisen ebenso wenige bedenkenlos anschließen, wie der zusätzlich ausgegebenen Parole „Rotkäppchen lügt.“ Begründet wird das immer häufiger mit dem Argument, der Wolf würde sich so gar nicht dementsprechend verhalten, wie es die Experten beschrieben hätten. Und so wird schon einmal die Parole „Rotkäppchen lügt“ in das Gegenteil verkehrt und den Wolfsschützern selbst angelastet. Aber nicht allein der Wolf sorgt für Verstimmungen, zuallererst die Jagdgesetznovellen in mehreren Bundesländern – insbesondere in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen – sind es zurzeit, die den Deutschen Jagdverband auf der einen Seite und den Naturschutzbund auf der anderen Seite zunehmend spalten. Dabei könnten besonders diese beiden Naturschutzverbände gemeinsam dafür Sorge tragen, dass der Wolf in Deutschland seine Chance behält. Es scheint allerdings, als steckten beide gerade in einer Situation, in der sich die Fronten unsachgemäß verhärten. Diverse „offene Briefe“ mit gegenseitigen Beschuldigungen und Richtigstellungen kursieren im Internet und werfen die Frage auf, ob das jeweilige Einzelmitglied sich bei dieser Art des gegenseitigen Umgangs noch wohlfühlen mag.
Das alles dürfte wenig hilfreich für die Zukunft des Rückkehrers Wolf sein, zumal beide Verbände glauben, ihrer Klientel in besonderer Weise verantwortlich zu sein und dies unnachgiebig zelebrieren zu müssen. Aber welches sind nun die Bedingungen, von denen schon Zimen sprach, unter denen die besonders betroffene Landbevölkerung bereit sein könnte, Wölfe auf Dauer in der Nachbarschaft zumindest zu akzeptieren?


Forderungskatalog der „Arbeitsgruppe Tierhalter Niedersachsen“
Im Internet findet man einen Forderungskatalog der „Arbeitsgruppe Tierhalter Niedersachsen“ aus dem Jahr 2014, der vielleicht hilft, die Frage zu beantworten. In diesem Papier, das hier einmal beispielhaft in Auszügen zitiert wird, haben Rinderhalter, Schafzüchter, Pferde- und Gatterwildhalter ihre gemeinsamen Positionen verdeutlicht. Ihre „allgemeinen Forderungen“ umfassen unter anderem:
• …den Unmut darüber, dass Ankündigungen, die das Umweltministerium in Niedersachsen in den letzten Jahren abgegeben hat, nicht eingehalten worden sind,

• …den Wunsch, dass die professionelle Öffentlichkeitsarbeit gegenüber den Tierhalterverbänden deutlich verbessert wird,

• …die Aufnahme des Wolfes in den Anhang V (anstatt IV) der FFH-Richtlinie. Im Ergebnis dieser Lockerung des Schutzstatus sollen dann exakt beschriebene und eindeutig abgrenzbare Wolfsregionen ausgewiesen (in denen der Wolf zulässig ist) und der Umgang mit Wölfen außerhalb der ausgewiesenen Wolfsregionen geregelt werden,

• …die rasche und unbürokratische Entnahme von auffälligen Wölfen aus der Population,

• …die Übernahme aller Schäden, die durch Ausbrüche von Herden aus gesicherten Weiden in und um die Wolfsregionen entstehen, durch die niedersächsische Landesregierung,

• …ein engmaschigeres Monitoring,

• …die Entnahme anstatt der Vergrämung von „eingestuften Beutespezialisten“. Ein Beutespezialist ist demnach ein Wolf, der permanent nur noch landwirtschaftliche Nutztiere tötet, obwohl diese gemäß Herdenschutzvorgaben einwandfrei abgesichert sind.

Zusammengefasst geht es vielen Tierhaltern also um eine Optimierung der Kommunikation zwischen den handelnden Akteuren beim Wolfsmanagement, die Lockerung des Schutzstatus des Wolfes, ein wirksameres und engmaschigeres Monitoring einschließlich einer effektiven „Entnahme“ auffälliger Wölfe. Außerdem wird die Übernahme aller durch Wölfe verursachten direkten und indirekten Schäden durch den Landeshaushalt gefordert.
Die Tierhalter argumentieren also – so wie es bereits Erik Zimen vor über 40 Jahren festhielt und irgendwo auch logisch erscheint – überwiegend aus einem Eigeninteresse heraus.


Und die anderen?


Jäger
Und wie sieht es mit den Jägern aus? Ein Blick auf die Internetseite des Deutschen Jagdverbandes soll hier Aufschluss geben. Unter der Überschrift „Willkommen Wolf reicht nicht“ ist in einer Stellungnahme vom 02. März 2015 zu lesen, dass ein professionelleres und länderübergreifendes Monitoring die Grundlage für ein „Frühwarnsystem“ sein könnte. Jäger – so die Aufforderung an die eigene Zunft – sollten sich deshalb noch intensiver als bisher am Monitoring beteiligen. Einen Tag vorher wurde in der „Welt am Sonntag“ indes ein etwas schärfer formulierter Artikel unter der Überschrift „Jäger erwarten Wolfsangriffe gegen Menschen“ publiziert, in dem vom Deutschen Jagdverband ein „Wolfsmanagement-Plan auf Bundesebene“ und eine „bundeseinheitliche Entschädigungsregelung für Wolfsschäden“ gefordert wird. Ein Präsidiums-Mitglied des Verbandes wird dort mit den Worten zitiert: „Niemand kann ausschließen, dass es zu Übergriffen auf Menschen kommen kann“.
Die größte Sorge der Jäger scheint zurzeit demnach die Implementierung eines wirksamen Monitorings als Frühwarnsystem vor Wolfsattacken zu sein und nicht, wie man erwarten könnte, etwaige Beuteeinbußen durch den zugezogenen Jagdkonkurrenten.

Tourismus
Und was befürchten die für den jeweiligen Tourismus Verantwortlichen? Natürlich zuerst Besuchereinbußen durch das Fernbleiben ängstlicher Touristen. Eine bereits etwas ältere aber leicht im Internet zu findende Präsentation des Instituts für Wirtschaftsgeographie an der Ludwig-Maximilian-Universität in München bietet allerdings eine andere Perspektive. Es wird dort nicht nur festgestellt, dass allein der Müritz-Nationalpark durch den Tourismus einen theoretischen Beschäftigungseffekt von 628 Personen entfaltet, auch freilebende Wölfe haben der Studie nach das Potenzial zur touristischen Attraktion, z.B. durch das Angebot von Wolf-Trails oder Wolftrekkings. Es wird allerdings nicht verschwiegen, dass bestimmte Voraussetzungen dazu erforderlich sind, zum Beispiel ein integriertes Management.
Bietet der Wolf für den Tourismus nun also eher Chancen oder Risiken? Das wird am Ende wohl darauf ankommen, wie anpassungsfähig die Branche sein wird. Es wird immer Gewinner und Verlierer geben, wie in jeder Branche, die einem äußeren oder inneren „Anpassungsdruck“ unterliegt.

Ländliche Bevölkerung
Welche Bedingungen wünscht die übrige ländlich wohnende Bevölkerung?
Es ist wohl vor allem die Furcht vor Übergriffen der Wölfe auf den Menschen, und deshalb die latente Unsicherheit, trotz aller Parolen und Beteuerungen vermeintlicher Experten nicht ganz sicher zu sein. Robuste Naturen sind von der Anwesenheit der Beutegreifer nicht weiter beeindruckt, für empfindlichere Naturen ändert sich jedoch viel, bis hin zu Einschränkungen im Freizeitverhalten und somit letztlich in der Lebensqualität. Man kann vereinfacht davon ausgehen, dass ca. ein Drittel der Bevölkerung dem Wolf positiv und ein Drittel ihm neutral gegenübersteht. Das letzte Drittel der Menschen dürfte sich mehr oder weniger vor dem Wolf fürchten. Genau an diesen immerhin rund 27 Millionen Menschen in Deutschland müssen sich letztlich die Wolfsmanagementmaßnahmen ausrichten, damit Wölfe in der Nachbarschaft zumindest akzeptiert werden können. Nur so hat der Wolf dauerhaft eine Chance in Deutschland.


Was heißt das nun?
Fassen wir also einmal kurz zusammen: außer im Tourismusmanagement, das in jeder Region für sich selbst die Frage beantworten muss, ob die Wolfsrückkehr eher als Chance oder als Risiko begriffen werden soll, scheint nahezu allen Anspruchsgruppen gemein zu sein, dass es neben der möglichst unbürokratischen Regelung von Schadensausgleichszahlungen vor allem Sicherheitsaspekte sind, die zu den bekannten Bedenken führen. Der latenten Unsicherheit der Bevölkerung kann vielleicht tatsächlich durch ein engmaschigeres und vor allem sichtbareres Monitoring – wie die Tierhalter und Jäger es fordern – wirksam begegnet werden. Dies sollte gleichzeitig die Früherkennung auffälliger Wölfe umfassen und auch ein Orientierungsmuster für Mitbürger ermöglichen. Die Bürger müssen selbst einschätzen können, wann Vorsicht geboten ist und ein Wolf wirklich verhaltensauffällig ist (siehe These 1). Sollte dann tatsächlich künftig einer der vermutlich wenigen Fälle auftreten, in denen zügig gehandelt und ein Wolf eilig „entnommen“ werden muss, sollte dies nach einem vorher vereinbarten Reaktions- und Notfallplan (siehe These 2) durch lokal verfügbare und entsprechend geschulte Experten zügig und autark erfolgen können, ohne vorher noch bürokratische Abstimmungsorgien auszulösen.

Wer könnten diese Experten sein? Nun, sie sollten idealerweise als integere Mitbürger das besondere Vertrauen der ländlichen Bevölkerung genießen. Jäger einerseits und organisierte Naturschützer andererseits ziehen durch teils „jahrelange Grabenkämpfe“ ihrer Verbandsspitzen und deren Presseorgane (siehe oben) üblicherweise die Skepsis der jeweils anderen Seite auf sich. Sie scheinen den notwendigen Vertrauensvorschuss in den Augen Außenstehender deshalb nur eingeschränkt vorweisen zu können. Dennoch gibt es ausreichend Beispiele in Deutschland von Menschen, die es schaffen, spannungsfrei beide „Weltanschauungen“ miteinander zu verbinden. Es sind die jagenden Naturschützer, bzw. die naturschützenden Jäger, die sowohl einem der großen Naturschutzverbände (z.B. BUND oder NABU), vielleicht sogar einem der dem Wolfsschutz besonders verpflichteten Vereine (der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe oder dem Freundeskreis freilebender Wölfe), einerseits u n d der Jägerschaft (auch anerkannter Naturschutzverband) andererseits angehören und das nicht als Widerspruch sondern als Bereicherung empfinden, auch wenn dies auf dem ersten Blick unlogisch erscheinen mag. Ich werde übrigens zu einem späteren Zeitpunkt (These 8) noch erläutern, warum es so aussieht, als wären gerade jagdliche Kompetenzen für ein wirksames Wolfsmonitoring so wichtig. Manche Wildtierbiologen und andere Vertreter „grüner Berufe“ würden selbstverständlich ebenfalls bereits gute Voraussetzungen mitbringen, um ein solcher Wolfsexperte zu werden.

Wir wissen heute – und viele Statistiken bestätigen dies Jahr für Jahr, dass es zumeist Feuerwehrleute, Polizisten und Ärzte – also Menschen, die uns entweder ehrenamtlich oder hauptberuflich in Notlagen hilfreich zur Seite stehen – sind, die das höchste Ansehen und Vertrauen in der Bevölkerung genießen.
Bei gegebenen Voraussetzungen, das bedeutet bei entsprechender Ausbildung, Ausstattung sowie Erfahrung und zugewiesener Handlungskompetenz, könnten sich anerkannte Wolfsexperten (ich nenne sie „Wolfsscouts“ und begründe das in der nächsten These) ebenfalls zu einer ähnlich angesehenen Personengruppe entwickeln und letztlich diejenigen sein, die es ermöglichen, das Vertrauen der verängstigten Teile der Bevölkerung zurückzugewinnen. Was dazu bisher fehlt, ist ein entsprechendes integrierendes Managementkonzept und der Wille, gemeinsam auf das zu sehen, was alle Akteure einigt und nicht auf das, was sie trennt.

Herzlichst

Ihr

Jürgen Vogler

Hier geht es weiter zur 4. These
Hier geht es zur These 2