Wolf MT6: Warum ein Abschuss die richtige Lösung war – Wolfsmonitor

Wolf MT6: Warum ein Abschuss die richtige Lösung war

In Niedersachsen wurde mit MT6 erstmals, seit die Art in Deutschland rechtlich geschützt ist, ein gesunder Wolf aus der Freiheit „entnommen“. Der Abschuss des Tieres war ohne Zweifel bedauerlich und für Wolfsfreunde nur schwer zu verkraften.

Aber er scheint mir im Kern dennoch richtig gewesen zu sein, auch im Wissen darum, dass ein Abschuss die Ursache für das auffällige Verhalten einzelner Wölfe nicht löst, sondern nur ein Symptom bekämpft. Aber manchmal muss man auch Symptome lindern, solange dabei die Ursachenbekämpfung nicht auf der Strecke bleibt.

Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die Einzelheiten der Vorfälle mit MT6 eingehen und auch nicht darauf, ob die Vergrämung nun wirklich konsequent genug umgesetzt wurde oder nicht. Dafür bin ich schlicht zu weit weg vom Geschehen, trotz guter Kenntnisse der niedersächsischen Verhältnisse.

Aber als aussenstehender Beobachter scheint es mir trotz einiger Fragezeichen so zu sein, dass MT6 tatsächlich wiederholt Verhaltensweisen gezeigt hat, welche ein konsequentes Handeln erfordert haben. Dass nicht in jedem Fall DNA-Proben genommen wurden und dass nicht immer durch Peilungen bestätigt ist, dass tatsächlich MT6 und nicht seine ebenfalls besenderte Schwester für die Vorfälle verantwortlich ist, soll nicht darüber hinweg täuschen, dass nach einer nüchternen Analyse die wesentlichen Fakten dafür sprechen, dass es sich beim auffälligen Wolf jeweils um MT6 handelte.

In den sozialen Medien, in Kommentarspalten und Foren waren und sind allerlei Spekulationen zu lesen, dass diese Vorfälle konstruiert worden seien. Es wurde auf Widersprüche in den Zeugenaussagen hingewiesen und auf menschliches Fehlverhalten. Vieles davon mag durchaus ein Stück weit richtig sein, einiges ist aber auch ins Reich der Verschwörungstheorien zu verbannen. Tatsache bleibt, dass MT6 sich ohne Zweifel mehrfach Menschen und Hunden auf kürzeste Distanz aktiv angenähert hat und auch scheinbar völlig unbesorgt tagsüber durch Siedlungen spazierte. Allein das rechtfertigt eine Reaktion, unabhängig davon, ob nun die Distanz zum Menschen drei oder fünf Meter betragen hat oder ob ein Hund schwer verletzt wurde oder nur einige Kratzer davon getragen hat.

Eine Reaktion war also notwendig. Zweifelsfrei wäre neben der Ursachenbekämpfung, die zwar das aktuelle Problem nicht mehr gelöst hätte, aber für die Zukunft wichtig ist, die Vergrämung das Mittel der Wahl. Dass diese zu wenig konsequent durchgeführt wurde und man zu lange nur abgewartet und beobachtet hat, mag vielleicht stimmen. Es reicht halt nicht, für ein paar Tage einen Schweden einzufliegen und zu hoffen, dieser bringe das dann schon in Ordnung. Aber gerade auch angesichts dieser Kritik an der Umsetzung der Vergrämung bleibt das Problem bestehen, dass ein Wolf mit einem unerwünschten Verhalten präsent war und dies eben eine Reaktion erforderte. Da eine Vergrämung, aus welchen Gründen auch immer, nicht möglich oder nicht wirksam war, blieb die Entfernung des Tieres als letzte Option. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Von einem Fang und der Verbringung in ein Gehege wurde zum Glück abgesehen. Wie einige wenige Wolfsfreunde dies trotzdem ernsthaft fordern können, ist mir ein Rätsel. Es gibt bereits heute viel zu viele Wölfe in Gehegen, oft sind die Gruppen bereits zu gross und für den Nachwuchs finden sich keine Plätze. Was sollte erstrebenswert daran sein, noch mehr Wolfsgehege zu haben?

Richtigerweise haben sich die deutschen Wolfsschutzverbände wie NABU, WWF, der Freundeskreis freilebender Wölfe und die GzSdW deutlich vom Vorhaben der Verbringung in ein Gehege distanziert und auch die Betreiber von Wolfsgehegen boten dafür nicht Hand. Ein wildlebendes Tier für den Rest seines Lebens einzusperren, wäre eine Tierquälerei höchsten Grades. Der Abschuss hingegen bereitet dem Tier einmalig kurze Schmerzen und dann ist es vorbei. Nach meiner bescheidenen Einschätzung ist dies wesentlich humaner. Und ich gebe gerne zu: Auch ich wäre lieber tot, als dass ich den Rest meines Lebens hinter Gittern verbringen müsste.

Generell ist mir unverständlich, wie gewisse Kreise der Tier- bzw. Wolfsfreunde ein derartiges Tabu um die Tötung von Tieren machen können. Es scheint, als gelte für sie, den Tod um jeden Preis zu verhindern. Mir hingegen scheint ein Tötungstabu nicht sachgerecht zu sein. Eine Tötung ist nicht zwingend eine Tierquälerei. Der Tod ist vielmehr Teil der Natur. Der Wolf tötet andere Tiere, um zu überleben, und wir Wolfsfreunde verteidigen das ausdrücklich, obwohl auch dabei die Beutetiere Schmerzen erleiden. Aber es gehört eben dazu, die Natur ist kein Ponyhof. Und auch wir Menschen töten Tiere, um sie zu verzehren. Wenn es hingegen um den Wolf geht, scheint der Tod aber plötzlich ein Tabu zu sein. Nie dürfe man einen Wolf töten. Aber warum?

Ich sage es deutlich: Der Abschuss ein Wolfes ist kein Tierschutzproblem. Seine Tötung ist für den Tierschutz nicht problematischer als bei anderen Tieren auch. Ein Abschuss ist auch einer Betäubung mit anschliessender Einschläferung, was ebenfalls zur Diskussion stand, vorzuziehen. Wer Erfahrung in Fang und Betäubung von Wildtieren hat, weiss um den Stress, den die Tiere dabei erfahren. Ein Abschuss ist dagegen eine weitgehend stressfreie Methode der Tötung. Es stellt sich bei Wolfsabschüssen einzig die Frage des Artenschutzes und der Notwendigkeit der Massnahme – die ich im vorliegenden Fall wie dargelegt für gegeben halte.

Für den Artenschutz dürfen die Populationen nicht gefährdet werden. Die mitteleuropäische Flachlandpopulation des Wolfes ist zwar langfristig nicht gesichert und muss weiter anwachsen. Aber den Tod von einzelnen subadulten, nicht reproduzierenden Einzeltieren verkraftet die Population problemlos. Solange dies so ist und die Tötung des Wolfes die letzte Möglichkeit war und nicht die erste, sehe ich den artenschutzrechtliche Interesse nicht gefährdet.

Dass die erste legale Tötung eines gesunden wildlebenden Wolfes in Deutschland gewissermassen einen Dammbruch darstellt, möchte ich zwar nicht ausschliessen, aber am strengen Schutz des Wolfes (im artenschutzrechtlichen Sinne) ändert dieser Abschuss nichts. Es scheint mir überhaupt ziemlich blauäugig zu sein, ernsthaft zu meinen, Deutschland sei eine Insel der Glückseeligen, die ganz ohne Wolfsabschüsse bliebe. Denn Abschüsse sind in beinahe allen Ländern mit Wolfspopulationen – auch in denjenigen mit dem selben strengen Schutz gemäss Berner Konvention und FFH-Richtlinie – Teil des Managements. Es bringt dem Artenschutz für den Wolf nichts, jedes Einzeltier um jeden Preis am Leben zu erhalten. Dass legale Abschüsse von Wölfen auch in Deutschland früher oder später vorkommen werden, muss eigentlich allen klar gewesen sein. Wenn nicht, darf derjenige getrost als naiv bezeichnet werden.

Der Abschuss von MT6 hat für mich zwei Dinge gezeigt: Erstens, dass sich das Verhältnis zum Wolf in Deutschland normalisiert (kleine und gefährdete Populationen werden geschont, grosse unterliegen einem Management). Und zweitens, dass ein Teil der Wolfsfreunde den Bezug zur Realität wohl weitgehend verloren hat. Damit meine ich explizit nicht die erwähnten Wolfsschutzverbände.

Wer in quasi jeder berichteten Nahbegegnung zwischen Wolf und Mensch (und Hund) eine Verschwörung von Wolfsgegnern sieht, wer jeder solchen Begegnung eine möglicherweise vorhandene Problematik des Wolfsverhaltens abspricht, wer um absolut jeden Preis jedes Wolfsleben erhalten will, der tut dem Wolf letztlich keinen Gefallen.

Es ist hinreichend bekannt, dass Wölfe habituiert und futterkonditioniert werden können. Es ist bekannt, dass Wölfe Hunde nicht nur lieben, sondern auch angreifen und töten können. Und es ist auch bekannt, dass unter speziellen Umständen auch Angriffe auf Menschen vorkommen können. Es wäre deshalb falsch, bei Wölfen, die ein auffälliges Verhalten zeigen, nicht einzugreifen. Und eingreifen heisst – wohlgemerkt in letzter und nicht in erster Konsequenz – auch mal abschiessen.

Natürlich ist zu hoffen, dass der Abschuss von MT6 eine einmalige Ausnahme bleiben wird. Wahrscheinlich ist dies allerdings nicht. Deswegen aber gleich das Ende des Artenschutzes für den Wolf zu verkünden, wie es nun vielerorts getan wird, verkennt die Realität. Es ist ja nicht so, dass der Wolf überall dort, wo er auch mal abgeschossen wird, am Rande der Ausrottung steht, im Gegenteil. Der Wolf ist zurück in Deutschland, ja fast in ganz Europa, auch dort wo es eine lockerere Abschusspolitik gibt. Das wird zum Glück auch so bleiben. Abschuss von MT6 hin oder her.

David Gerke

Wolfsmonitor-Kolumnist David Gerke, Schafhirte und Jäger aus Zuchwil in der Schweiz, ist Präsident der „Gruppe Wolf Schweiz (GWS)“ (Link!), der „politischen Stimme der Großraubtiere“ in der Schweiz. Der Verein, der 1997 nach einem Besuch von Wolfsinteressierten beim weltweit bekannten Wolfsforscher Erich Klinghammer in den USA gegründet wurde, hat das Ziel, Hintergrundinformationen über das Verhalten, die Vorkommen und die Ökologie des Wolfes in der Schweiz zugänglich zu machen. Die GWS arbeitet dabei eng mit zahlreichen Fachleuten und Medien zusammen, um wissenschaftlich fundiertes Know-how zu veröffentlichen.