Bewegt sich der Deutsche Jagdverband weiter ins Abseits? – Wolfsmonitor

Bewegt sich der Deutsche Jagdverband weiter ins Abseits?

Der Deutsche Jagdverband (DJV) legt nach. Oder sollte man besser sagen, seine Funktionäre bekräftigen die Inhalte des Positionspapiers, das sie im Juni 2015 verabschiedeten?

Eine kurze Chronologie:

  • Im Frühjahr 2014 stellt der DJV ein „Eckpunktepapier zum künftigen Management des Wolfes“ vor.
  • Auf dem diesjährigen Bundesjägertag im Juni verabschiedeten Delegierte des Deutschen Jagdverbandes in Dresden ein „Positionspapier zur Rückkehr des Wolfes nach Deutschland“.
  • Am 29. Juli teilt der DJV im Rahmen einer Pressemitteilung mit, dass er eine „Neubewertung der Wolfspopulation“ fordert. Der Verband bezieht sich dabei insbesondere auf zwei Quellenpapiere und stellt fest, dass die „Mitteleuropäische Flachlandpopulation „eindeutig keine isolierte Population darstellt“ und somit nach einer Neubewertung in den Anhang V der FFH-Richtlinie überführt werden müsse.

Kommentar:
Wolfsmonitor hatte bereits das Positionspapier vom Juni kommentiert und es als vermeintliches Strategiepapier des Jagdverbandes identifiziert (hier der Link). Das strategische Element des DJV ist dabei ziemlich eindeutig erkennbar: Man möchte die Herbeiführung einer Lockerung des Stutzstatus des Wolfes durch seine Überführung vom Anhang IV in den Anhang V der FFH-Richtlinie herbeiführen und parallel versuchen, über den Artikel 16 eben dieser Richtlinie bereits vor dieser Überführung Ausnahmegenehmigungen zum Wolfsabschuss zu erhalten. Auch der Naturschutzbund Deutschland, kurz NABU, bestätigte die Wolfsmonitor-Kritik mit einer kürzlich veröffentlichten eigenen Stellungnahme (hier der Link).
Da der DJV seine Position mit der Pressemeldung vom 29. Juli bekräftigt, muss er sich einige Anmerkungen gefallen lassen:

“Don’t fight the scenery, fight the problem!”


Der DJV zielt mit seiner Argumentation weiter auf den sogenannten „günstigen Erhaltungszustand“ der Wolfspopulation und will darauf hinwirken, dass die „deutschen Wölfe“, die allgemeinhin (auch wissenschaftlich) anerkannt zusammen mit den „westpolnischen Wölfen“ die „zentraleuropäische Tieflandpopulation (ZEP)“ bilden, eigentlich als ein Teil der viel größeren baltischen Population zu sehen sind. Die vollständige Begründung hierzu findet sich in der kürzlich veröffentlichten Pressemeldung des DJV (hier der Link). Es handele sich bei der ZEP um „eindeutig keine isolierte Population“. Der Hintergrund dieser Feststellung: Es wären dann insgesamt 250 statt 1000 erwachsene Wölfe ausreichend, um eine „Überführung“ des Wolfes in den Anhang V der FFH-Richtlinie zu ermöglichen, weil der „günstige Erhaltungszustand“ dieser Tierart dann bereits erreicht sei. Zur Untermauerung dieser These bietet der DJV zwei Quellen an, eine davon ist in überwiegend dänischer Sprache gehalten und somit für mich nahezu unverwertbar (Asche auf mein Haupt), die andere Quelle ist jedoch umso aufschlussreicher. Es handelt sich dabei um ein stenografisches Gesprächsprotokoll einer Anhörung von Fachleuten durch den Ausschuss für Umwelt und Landwirtschaft des sächsischen Landtags vom 26. Juni 2015 (hier der Link). Dort beruft man sich auf die Aussagen von Verena Harms, damalige Mitarbeiterin im Senckenberg-Forschungsinstitut in Frankfurt und seit dem 01. Juli 2015 im neu eingerichteten Wolfsbüro in Niedersachsen beschäftigt, die feststellte, dass die „zentraleuropäische Population zwar aus der baltischen hervorgegangen sei, es aber „einen sehr deutlichen Unterschied“ zur baltischen Wolfspopulation gebe (Seite 7 und 8 des Dokuments). Darüber hinaus gebe es durchaus „genetische Immigranten“ aus den benachbarten Wolfspopulationen, die Population entwickele sich jedoch überwiegend aus sich selbst heraus“. Tatsächlich, so ergänzte sie später auf Nachfrage, würde sie die zentraleuropäische Wolfspopulation trotzdem nicht als isoliert bezeichnen (Seite 36 des Dokuments).

Dies ist das tragende Argument des Deutschen Jagdverbandes, eine Neubewertung der Wolfspopulation zu fordern. Die wünschenswerte genetische Vernetzung der beiden – durch die EU anerkannten – eigenständigen Wolfspopulationen durch einige Immigranten wird als Begründung bemüht, um die Grundlagen des auch international anerkannten Wolfsmanagements in Frage zu stellen. Respekt! Die Tatsache der genetischen Vernetzung beider Populationen ist nämlich schon länger nichts Neues! Bereits vor einiger Zeit nahm Frau Dr. Elsa Nickel, Leiterin der Abteilung N, Naturschutz und Nachhaltige Naturnutzung im BMU dazu Stellung (Auszug): „Die ZEP ist eine eigenständige Population, die auch geografisch durch einen breiten, nahezu wolfsfreien Korridor in Polen von der baltischen Population getrennt ist. Zwar ist eine Zuwanderung von einzelnen Individuen aus der Baltischen Population dokumentiert. Deren gegenwärtiger Umfang reicht aber nicht aus, um die beiden Bestände als populationsbiologische Einheit einzustufen.“ (Wolfsmonitor zitierte diese Passage eines Briefes an das Land Brandenburg bereits an anderer Stelle).


Am 20. November 2014 fand außerdem im Bundesumweltministerium ein „erster runder Tisch zum Wolf“ statt. Seinerzeit war man sich weitestgehend einig darüber, dass die Vorgaben von Zielgrößen oder Obergrenzen für Wolfspopulationen keine zielführende Lösung sein kann. War der DJV damals nicht dabei?


Was motiviert den DJV nun, diese bereits akzeptierte Sichtweise immer wieder in Frage zu stellen, ist doch der „günstige Erhaltungszustand“ einer Tierart zwar eine notwendige aber keinesfalls eine hinreichende Rechtfertigung dafür, die Jagd auf sie zu eröffnen?
Oder anders gefragt: Angenommen, die Sichtweise des DJV wäre akzeptiert und der „günstige Erhaltungszustand“ wäre somit bereits erreicht. Würde man den Wolf dann mit Hilfe von „waidgerechten Abschüssen“ daran hindern wollen, weitere Regionen Deutschlands und Westeuropas zu besiedeln? Glaubt man in diesem Verband wirklich, mit einer für die Bejagung des Wolfes ungeeigneten Organisationsstruktur irgendeine geeignete Lösung für ein wie auch immer geartetes Problem zu sein?
Man ist geneigt, dem Jagdverband an dieser Stelle die Philosophie des englischen Sprichwortes nahezulegen: “Don’t fight the scenery, fight the problem!”


Vertrauensvolle Kooperation in Niedersachsen?


Werfen wir einen Blick auf Niedersachsen. Auf einer Kreisverbandsveranstaltung der CDU im niedersächsischen Hanstedt im Juni legte der dortige Präsident der Landesjägerschaft und agrarpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Helmut Dammann-Tamke, einem Bericht der „az-online“ zufolge seine politische Linie für das niedersächsische Wolfsmanagement transparent dar (hier der Link). Um im Wolfsmanagement agieren zu können, müsse der Wolf zuerst in den Anhang V der europäischen FFH-Richtlinie beordert werden, damit er nicht mehr unter dem besonderen Schutz der EU stehe und damit Eingriffe in die Wolfspopulation im Rahmen des Wolfsmanagements möglich seien. Am „Ende des Tages bedeute das auch die Aufnahme in das Jagdrecht“, so wird Dammann-Tamke zitiert. Allerdings sehe er im Moment im Bundestag keine Mehrheit dafür, den aktuellen Schutzstatus anzutasten. Das Ganze müsse „wohl erst mal gegen die Wand fahren“.


Dieser Pressebericht macht transparent, dass die Strategie des niedersächsischen Landesjagdverbandes wohl weitestgehend der oben dargestellten Strategie des DJV entspricht. Nun haben die Aussagen des LJV-Präsidenten jedoch noch eine besondere Note. Denn die Jägerschaft in Niedersachsen ist dort landesweit für das Wolfsmonitoring zuständig. Grundlage ist ein vor Jahren geschlossener Kooperationsvertrag zwischen der damaligen Landesregierung und der Landesjägerschaft. Zwischenzeitlich stellen jedoch die damaligen Oppositionsparteien SPD und Grüne die Regierung. Diese dürften – EU-richtliniengemäß – das Wolfsmanagement in geeigneter Weise umsetzen wollen (und müssen), was sich zeitweise als besonders schwierig erwies, weil sich in Niedersachsen gleichzeitig mit der Etablierung der ersten Managementstrukturen erste Wölfe „verhaltensauffällig“ zeigten. Man verstand im Ministerium die damit verbundenen Herausforderungen scheinbar jedoch tatsächlich als „Generalprobe“ und passte die Wolfsmanagementstrukturen entsprechend an.

Es stellt sich trotzdem oder gerade deshalb die Frage, ob die Zusammenarbeit zwischen dem Land und der Landesjägerschaft vor dem Hintergrund der scheinbar divergierenden Ziele – Bevölkerungs-, Wolfs- und Herdenschutz einerseits und die Bejagung andererseits – noch spannungsfrei und vertrauensvoll abläuft. Das scheint nicht so zu sein. Ein weiterer Blick in das aufschlussreiche stenografische Protokoll, das ich nur jedem am Wolf Interessierten zur Lektüre empfehlen kann, offenbart dann auch weitere interessante Einschätzungen der in Sachsen gehörten Fachleute. Wenn man die Aussage von Gesa Kluth vom „LUPUS Institut für Wolfsmonitoring und –forschung in Deutschland“ aus dem vom DJV verlinktem Protokoll auf der Seite 40 in die Betrachtung einbezieht, erhält man eine mögliche Antwort. Sie gab dort wörtlich zu Protokoll:

„Vorhin ging es um Niedersachsen. Dort ist es etwas anders organisiert. Dort macht die Landesjägerschaft das Monitoring, übernimmt diese staatliche Aufgabe als NGO. Man fragt sich, was dort schiefgelaufen ist, wenn man solche Entwicklungen wie aktuell mit dem Rudel in Muster hat, wo man offenbar jahrelang nicht mitbekam, dass sich die Wölfe dort anders verhalten als in anderen Rudeln. Das ist im Moment das einzige Bundesland, in dem eine NGO diese staatliche Aufgaben übernimmt. Die Behörden versuchen jetzt, das wieder einzufangen – sage ich einmal – und den Schaden zu minimieren. Deshalb würde ich sagen, das ist nicht sehr gut gelaufen. Ob es daran gelegen hat, dass es die Jägerschaft oder dass es eine NGO ist und keine staatliche Struktur, kann man sicher erst beurteilen, wenn man in anderen Bundesländern andere Beispiele hat, die man beurteilen kann.“


Fazit
Dem kritischen Verfolger der Ereignisse muss sich – wenn er die veröffentlichten Puzzleteile zusammenfügt – der Eindruck aufdrängen, dass sich die Jägerschaft in Punkto Wolf immer weiter ins Abseits bewegt und dabei viel politisches Vertrauen sowohl innerhalb der eigenen Organisation als auch außerhalb verspielt. Auf Ebene des Bundes, weil die Jagdfunktionäre immer wieder nach Möglichkeiten suchen, die nicht unwesentliche Grundlage des gesamten Managementsystems – die Populationsstruktur – in Zweifel zu ziehen. Auf Ebene der Länder und insbesondere in dem Bundesland, in dem die Jägerschaft besondere Verantwortung trägt, weil sie immer unverblümter quasi durch die Hintertür die Aufnahme des Wolfes in das jeweilige Jagdrecht fordert und damit die „Schicksalshoheit“ über die Wölfe für sich einfordert.


Das widerspricht jedoch jeder Zweckdienlichkeit, wie die Lektüre des gesamten stenografischen Protokolls dem aufmerksamen Leser zeigt.
Bleibt zum Schluss die Spekulation, ob die Einrichtung des Wolfsbüros in Niedersachsen als Reaktion auf das schwindende Vertrauen der Landesregierung in die Landesjägerschaft Niedersachsen zu werten ist. Überraschen würde es nicht!

Herzlichst

Ihr

Jürgen Vogler