Kennen Sie, liebe Leserinnen und Leser, eigentlich die Cleavage-Theorie? Nein? Vielleicht kommt Ihnen aber die Behauptung bekannt vor, dass man in der Stadt grundsätzlich keine Ahnung davon hat, was die Menschen auf dem Lande ernsthaft bewegt?
Die Cleavage-Theorie versucht zu erklären, aus welchen Interessen heraus Menschen bevorzugt bestimmte Parteien wählen.
Dabei geht man davon aus, dass in einer Gesellschaft bestimmte Konfliktlinien vorhanden sind, anhand derer sich die politische Willensbildung der Menschen orientiert.
Eine Konfliktlinie kennzeichnet dabei einen Interessen- oder Wertgegensatz (eine Kluft, englisch cleavage), z.B. im Hinblick auf die Herkunft, bzw. das Lebensumfeld.
Die Cleavage-Theorie geht nun davon aus, dass diese Gegensätze oder Konflikte dazu führen, dass sich Parteien bilden, die diese verschiedenen Interessen bedienen.
Auch in Zusammenhang mit der Wolfsrückkehr ist das Argument, in der Stadt lebten nur weltfremde Idealisten, die nicht die Folgen der Wolfsrückkehr (er)tragen müssten, immer mal wieder zu lesen.
Und Jahrzehnte lang funktionierte es scheinbar verlässlich, davon auszugehen, dass es Wählergruppierungen in der Bevölkerung gibt, die sich überwiegend der parteipolitischen Dimension der maßgeblichen Konfliktlinien zuordnen lassen.
Neuerdings weiß man allerdings, dass die klassische Cleavage-Einteilung Stadt gegen Land oder Kirche gegen Staat nicht mehr zuverlässig funktioniert.
Die Konfliktlinien sind nicht mehr homogen genug und die ihr zugrunde liegenden Werte ändern sich ständig und nehmen in ihrer Vielfalt zu (Ost-West/ Ökologisch-Ökonomisch/ Digital-Analog). Auch hier ist die Welt also komplexer und vielseitiger geworden.
Manche haben es scheinbar nur noch nicht bemerkt und versuchen weiterhin, die klassischen Argumentationslinien weiter politisch einzusetzen.
Ist es dann aber nicht verwunderlich, dass einem diese Protagonisten wie Polit-Dinos vorkommen?
Herzlichst
Ihr
Jürgen Vogler