Bereits im Oktober letzten Jahres wurde ich auf den taz-Journalisten Jost Maurin erstmals aufmerksam. In einer Überschrift eines Beitrags von ihm war zu lesen: „Die Zahl der Opfer von Wölfen ist seit 2002 um mehr als das 20-Fache gestiegen“.
Erst zum Ende seines Beitrags ließ Maurin den NABU-Wolfsexperten Markus Bathen ergänzen, dass sich im selben Zeitraum die Anzahl der Wölfe von einem Rudel auf 46 vermehrt hat. Und sich damit das Verhältnis der verlorenen Nutztiere pro Rudel – relativ gesehen – wegen des zunehmenden Einsatzes von Herdenschutzmaßnahmen mehr als halbierte. (*1)
Ende März gab es einen weiteren Artikel von Maurin über Wölfe in der taz. „Er kommt näher, immer näher“ war dieser betitelt. (hier der Link! *2)
Maurin stellte darin unter anderem die (eher rhetorische) Frage, ob es eigentlich gewollt sei, „dass hier Raubtiere leben, die Menschen töten können?“ Und ließ seinen Beitrag mit den Worten enden: „Am besten bleibt es aber auch da – weit weg im sächsischen Wald. Zur Not müssen wir es zwingen, mit dem Gewehr.“
Dieser Artikel sorgte wegen offensichtlicher inhaltlicher Schwächen für Unmut in weiten Teilen der Wolfsszene. Der weit anerkannte Wolfsexperte Ulrich Wotschikowsky beispielsweise kommentierte Maurins Artikel folgendermaßen: (*3)
„Herr Maurin,
schon der Titel macht klar, was Sie mit Ihrem Artikel bezwecken. Sie wollen Panik verbreiten. Tatsache ist: Die Wölfe kommen uns nicht „immer näher“. Sie werden mehr, das stimmt. Aber nur das.
Ich hatte mir viel von Ihrem Artikel versprochen. Deswegen habe ich auch über eine Stunde Zeit damit verbracht, Ihre vielen Fragen zu beantworten, mich darüber hinaus auch um Literaturquellen für Sie gekümmert. Was ist daraus geworden!
Sie dümpeln in seichten Gewässern. Reihen ein Klischee ans andere. Rücken Ihren Gesprächspartner Markus Bathen in ein schlechtes Licht, womit Sie wohl eher den NABU madig machen wollen. Und fallen längelang auf den Biobauern Dommel herein. Seit Juli, so zitieren Sie ihn, hätten die Wölfe „sechs seiner Rinder getötet“.
Meine Recherchen dazu haben folgendes ergeben:
Bauer Dommel hat im vergangenen Winter drei Kälber (wenige Tage alt) und ein Jungrind als von Wölfen getötet gemeldet. An keinem dieser Tiere ließ sich feststellen, dass es von einem Wolf (oder mehreren Wölfen) getötet wurde: kein Blut, keine Kampfspuren, keine Kehlbisse. Blut „wie auf dem Schlachtfeld, wie im Krieg“ lag da nicht herum, auch kein Wolfskot. Was hat Bauer Dommel, was haben Sie eigentlich für eine Vorstellung von einem „Schlachtfeld, wie im Krieg?“
Das ist alles prima dokumentiert, ich habe die Fotos gesehen.
Sie schreiben, Dommel halte seine Rinder „besonders artgerecht und naturfreundlich.“ Ob der Tierschutz das genauso sähe, wenn er sich das anschaute? Die Weide ist eine Schlammlache, mit ein paar Strohballen, damit sich die Rinder – es sind ja keine Wasserbüffel – mal einigermaßen trocken hinlegen können. Hoffentlich ist das nicht allgemein die Kehrseite von „Bio.“ Ich räume an dieser Stelle gerne ein, dass Dommel nicht schuld ist am schlechten Wetter. Aber unter artgerechter und naturfreundlicher Haltung verstehe ich etwas anderes.
Dabei hätte ich Ihnen ohne weiteres Informationen zu wirklich blutigen, schlimmen Wolfsübergriffen verschaffen können. Kein vernünftiger Mensch bestreitet, dass solche Vorfälle vorkommen. Es wird auch nicht bestritten, dass wir beim Herdenschutz noch zulegen müssen. Es wäre aber fair gewesen, darauf hinzuweisen, dass viele Nutztierhalter inzwischen mit den Wölfen recht gut klarkommen. Aber an einem objektiven Bild der Wolfsgeschichte war Ihnen nicht gelegen.
Sie wollen den Lesern weismachen, dass die Mutterkuhhaltung wegen der Wölfe auf der Kippe steht. Warum haben Sie die wahren Dimensionen verschwiegen, die ich Ihnen genannt habe? Hier noch einmal: Allein in Brandenburg verenden pro Jahr bei der freien Rinderhaltung 11.000 Kälber (Jahr 2014), bevor sie sechs Monate alt werden. Ersatz bekommen die Tierhalter dafür nicht. Im Jahr 2016 sind 23 neu geborene Kälber von Wölfen getötet worden – in Worten: dreiundzwanzig von über zehntausend! Zwei Promille der toten Kälber! Nota bene: Diese Kälber wurden vom Land bezahlt – die anderen ca. zehntausend nicht.
Leider, leider ist die freie Rinderhaltung durch allerlei ökonomische Zwänge, echte wie auch herbei geredete, in Gefahr. Aber meinen Sie im Ernst – durch Wölfe?
Sie erwähnen den Fall der in Alaska von Wölfen getöteten Joggerin und stellen die Frage: „Ist nicht ein Toter einer zu viel?“ Ich habe darauf keine Antwort, aber ich frage Sie, was Sie damit insinuieren wollen: Meinen Sie, dass wir nun alle Grizzlies, alle Löwen und Tiger, Elefanten, Nilpferde, Krokodile, Elche, Haie etcetera etcetera auf dieser Welt umbringen sollen? Alle diese Tiere töten Menschen – und zwar viel häufiger als die wesentlich zahlreicheren Wölfe. Sie stellen die Frage in den Raum, einfach so, aber Sie haben nichts dazu zu sagen. Das ist, mit Verlaub, ziemlich armselig.
Sie finden es anscheinend auch anstößig, dass Leute für die Arbeit, die sie im Naturschutz machen, bezahlt werden. „Andere Menschen,“ schreiben Sie, „leben vom Wolf.“ Wohl wahr – wie Ärzte eben von kranken Menschen leben oder Strafverteidiger von der Kriminalität, gelle? Arbeit am und um den Wolf ist Naturschutzarbeit, denn der Wolf steht unter Naturschutz.
Dass Sie Naturschutzarbeit meinen diskreditieren zu müssen, sagt alles darüber, mit welcher Voreingenommenheit Sie an diesen Artikel gegangen sind. Dass Sie selber damit Geld verdienen, also am Wolf! – das ist Ihnen anscheinend gar nicht aufgefallen. So weit sind wir also – sind Sie – gekommen, dass die Reparaturarbeit an einer Natur, die wir in nie dagewesenem Maß beschädigt haben und weiter beschädigen, als unwert eingeschätzt wird. So eine Denke, Herr Maurin, macht mich krank.
Es gebe noch so manches zu Ihrem Artikel zu sagen, aber ich ärgere mich fast schon, dass ich in diesen Kommentar Zeit investiert habe. Ihr Artikel ist es nicht wert. Wie schade. Aber ich würde mich freuen, wenn Sie ernsthaft darüber nachdächten.
Ulrich Wotschikowsky Oberammergau“
Auch viele andere kommentierten Maurins Beitrag innerhalb und außerhalb der „sozialen Medien“. Unter ihnen auch Wolfsbeauftragter und Rissgutachter Kay-Uwe Hartleb, der Maurins Artikel auf Facebook folgendermaßen kommentierte: (*4)
„Sehr geehrter Herr Maurin, was für ein Artikel!
Ich hatte immer glauben wollen, die taz stehe für Qualitätsjournalismus. Doch Sie haben mir eindrucksvoll aufgezeigt, dass die taz auch ganz anders kann! Mit Ihnen, lieber Maurin, mit Ihnen geht das. Sie haben Journalismus studiert, stimmts?
Jedenfalls sehen Sie auch so aus: hohe Stirn, Nickelbrille, feine schmale Hände, die es schwer haben mit einem Spaten. Oder? Jedenfalls können Sie so hübsch Worte aneinanderreihen. Was für eine Gabe, ein Talent, preisgekrönt womöglich, Worte, die gefallen wollen und gefallen können.
Jedoch: sollte der Journalist, seiner Sorgfaltspflicht folgend, nicht ordentlich recherchieren, das Ergebnis prüfen und noch mal überprüfen? Vor allem der Journalist, dem es an Sachkenntnis weitgehend und an Sachverstand vollständig fehlt? Hatten Sie keine Zeit dazu? Hat die Redaktion Druck gemacht mit dem Druck dieser Ausgabe, so dass Sie Einbußen beim Gehalt befürchten mussten, wenn Sie nicht schnell genug abliefern? Hat die TopAgrar, auf deren Gehaltsliste Sie ja auch stehen, vielleicht Druck gemacht?
Ich gehe doch recht in der Annahme, dass Sie mit ihren Texten Ihr Geld verdienen? So wie Jörg Dommel mit seinen Kälbern sein Geld verdient, wenn er sie alljährlich an den Schlachthof verkauft, nachdem seine Herde die Seewiesen und das Seeufer des Neuendorfer Sees dem Erdboden gleich gemacht hat.
Das hatten Sie doch gemeint, als Sie schrieben, „es sah aus wie ein Schlachtfeld, fast wie im Krieg“. Oder? Und was genau meinen Sie mit: „Ein Kalb lag halb aufgefressen da. Alles voller Blut. Kotreste vom Wolf. Hinter dem Genick war an einer Oberseite alles weggefressen. Rippen stachen heraus, der Magen war ausgeräumt.“ Waren Sie dort, Herr Maurin? Haben Sie es gesehen? Mit eigenen Augen? Ich glaube nicht.
Ich aber war dort, Herr Maurin. Sie habe ich nicht gesehen. Da war der angefressene Kalbskadaver, das stimmt. Blut? Kein Tropfen! Der Magen ausgeräumt? Das Kalb war noch nicht einmal einen Tag alt. Da ist nichts drin im Magen, was Wölfe ausräumen müssten. Wenn es überhaupt jemals einen Tag alt war.
Jörg Dommel hat das Kalb nie lebend gesehen. Hat Herr Dommel Ihnen erklärt, was eine Totgeburt ist? Das Kalb, Herr Maurin, war schon tot. Tot geboren oder verendet an etwas, was sich nicht mehr feststellen ließ.
Als es bereits tot war, haben dann vermutlich Wölfe davon gefressen, davon kann man ausgehen. Und genau das, Herr Maurin, ist der Grund dafür, dass dort eben kein Blut war. Ein totes Tier blutet nicht.
Ich frage mich, Herr Maurin, warum Sie Ihre Leser nicht durch saubere Recherche darüber aufklären, dass auf den Mutterkuhweiden im Land Brandenburg, denn darüber „berichten“ Sie ja, jährlich mehr als 11.000 Kälber verenden (90.000 Geburten jedes Jahr, 5% Totgeburten, 7% der lebend geborenen Kälber verenden in den ersten sechs Monaten). Ohne Wolfskontakt, versteht sich.
Die anderen 79.000 gehen auf den Schlachthof – früher oder später. Übrigens ist dort, Herr Maurin, dann wirklich alles voller Blut. Aber geschenkt.
Halten wir nun einmal die Kälber dagegen, die in Brandenburg tatsächlich von Wölfen gerissen wurden: im Jahre 2016, um gleich die höchste Zahl wolfsgerissener Kälber zu nehmen, die wir hier je hatten, nämlich 24.
Ich nehme mal an, Herr Maurin, dass Sie den Dreisatz beherrschen oder wenigstens den zu recherchieren in der Lage sind. Dann errechnen Sie, dass 24 gerissene Kälber von 11.000 verendeten Kälbern dem Äquivalent von 0,2% entspricht. Null Komma zwei Prozent.
Warum verschweigen Sie uns das Herr Maurin? Weil das Gewicht Ihrer Geschichte sich dann auf, sagen wir, 0,2% reduzieren würde? Die Anzahl der Klicks sich auf 0,2% abfallen würde? Weil das Interesse daran auf 0,2% sinken würde, Ihren Artikel am Ende niemand mehr lesen wollte? Vielleicht, weil Sie dann kein Geld mehr damit verdienen könnten?
Ich bin noch nicht ganz fertig Herr Maurin. Aber wir sehen schon bis hierher, dass Sie uns ein ganz kleines bisschen angeflunkert haben, stimmts? Weil es besser in die Story passt, sie ein bisschen reißerischer macht oder der Zeitgeist das von Ihnen verlangt oder weil Sie mit dafür Sorgen tragen sollen, dass die Auflage der taz stimmt. Stimmts? Jedenfalls sind Ihre Fakten eher alternativer Natur.
Doch kommen wir zurück zu Jörg Dommel. Sie lassen ihn sagen: „Ein „Scheißgefühl“ sei das, sagt der Bauer. „Und man kann nichts dagegen tun.“ Ja, ein Scheißgefühl ist das, solche Weiden, solche Zäune, die das Wort nicht verdienen, solche Weidehygiene zu sehen.
Ein Scheißgefühl ist das, zu sehen, dass die Zahl der Nutztierrisse mit einfachsten (Zaun)Mitteln auf ein Viertel oder weniger reduziert werden könnte aber nicht wird.
Und ein Scheißgefühl ist es, wenn man Texte lesen muss, die nicht vor Fakten sondern vor Unwahrheiten und Polemik strotzen und von Journalisten wie Ihnen publiziert werden.“
Beide Kommentare, also sowohl der von Ulrich Wotschikowsky, als auch der von Kay-Uwe Hartleb weisen meines Erachtens sehr anschaulich – über stilistische Mittel werde ich hier nicht urteilen – auf einige Schwächen im Artikel von Jost Maurin hin.
Das sieht allerdings offensichtlich nicht jeder so. Der Geschäftsführer des Bauernbundes Brandenburg, Reinhard Jung, beispielsweise ist offenbar der Ansicht, dass der Wolfsbeauftragte Kay-Uwe Hartleb mit seinem (oben veröffentlichten) Kommentar zu weit gegangen sei. „Dieser Mann ist aus unserer Sicht nicht mehr tragbar“, wird er in der Berliner Morgenpost zitiert.
Und fordert – weil Hartleb „die erforderliche Neutralität vermissen lasse“ – beim Agrarministerium in Brandenburg die „Absetzung“ des Rissgutachter. (hier der Link! *5)
Peter Peuker, ebenfalls aktiver Wolfsbeauftragter in Brandenburg und Wolfsmonitor-Lesern kein Unbekannter, reagierte auf den Vorstoß des Geschäftsführers des Bauernbunds mit klaren Worten: (*6)
„Populismus und Krawall statt Sachlichkeit und Fakten“
„Der Bauernbund will Personalpolitik betreiben und kompetente Leute im Wolfsmanagement ausboten und diskreditiert diese in unverschämter Weise öffentlich. Herr Jung übt Zensur und Einflussnahme aus und möchte die Gunst der Stunde in seinem Sinne nutzen. Die Rissgutachten sollen nach Wunsch des Herrn Jung mit einem ihm genehmen Ergebnis ausfallen.
Ganz offensichtlich kommt Herr Jung damit nicht klar, wenn Fakten gegen Behauptungen und Mutmaßungen im Artikel der TAZ benannt werden.
Bereits bei der Erarbeitung des Wolfsmanagementplans für den Zeitraum 2012 – 2017 hat sich der derzeit 433 Mitglieder umfassende Bauernbund verweigert, weil ihm das zustande gekommene Ergebnis nicht genehm war.
Populismus und Krawall statt Sachlichkeit und Fakten führen zu den schlechtesten Ergebnissen.“
Fortsetzung folgt…
Quellen:
(*1) taz, www.taz.de, Artikel von Jost Maurin am 25. Oktober 2016: „Artenschutz in Deutschland – Immer mehr Wolfsrisse“, abgerufen am 9.4.2017, hier der Link!
(*2) taz, www.taz.de, Artikel von Jost Maurin am 30.03.2017: „Er kommt uns näher, immer näher“ , abgerufen am 9.4.2017, hier der Link!
(*3) Antwort von Ulrich Wotschikowsky auf den Artikel *) von Jost Maurin, mit freundlicher Genehmigung der Facebook-Seite „Wölfe-Fakten“, abgerufen am 9.4.2017, hier der Link!
(*4) Facebook-Kommentar von Kay-Uwe Hartleb zum taz-Artikel „Er kommt uns näher, immer näher“ von Jost Maurin abgerufen am 9.4.2017
(*5) Berliner Morgenpost, www.morgenpost.de, Artikel vom 8.4.2017: „Bauernbund: Wolfsgutachter nicht neutral“, abgerufen am 9.4.2017, hier der Link!
(*6) Facebook-Kommentar von Peter Peuker, abgerufen am 9.4.2017, hier der Link!