Nachdem heute der NDR (*1) ausführlich darlegte, dass gleich drei Landkreise (Emsland, Osnabrück, Cloppenburg) an dem geplanten Abschuss einer wohlmöglich tragenden Wolfsfähe bei Herzlake in der Brut- und Setzzeit beteiligt sind und offenbar deren Kreisjägermeister Heiner Hüsing (Emsland), Herbert Pitann (Cloppenburg) und Martin Meyer Lührmann (Landkreis Osnabrück) diesen geplanten Abschuss koordinieren, war mir spontan danach, folgenden Kommentar auf der NDR-Webseite zu hinterlassen:
„Das muntere Treiben – jetzt auch mit Unterstützung der örtlichen Jägerschaften – auf eine vermeintlich trächtige Wolfsfähe in der Brut- und Setzzeit vor dem Hintergrund eines im Kontext des EU-Rechts offensichtlich nicht unumstrittenen Gesetzes („Lex Wolf“ – ein EU-Vertragsverletzungsverfahren wurde sogar bereits eingeleitet) zeigt, dass es mit der früher oft beschworenen „Waidgerechtigkeit“ bei so manchem Jagdfunktionär offenkundig nicht soweit her zu sein scheint.
Kaum erhalten sie Gelegenheit, ihr wahres Gesicht zu zeigen, tun sie es. Ein Kapitel zum Fremdschämen…“.
Ich hege übrigens (auch) grundsätzliches Interesse an moralphilosophischen Fragestellungen. An dieser Stelle muss ich das mal betonen, denn ansonsten erscheint es schwer verständlich, wenn ich jetzt nicht nur eine Schuldfrage stelle, sondern sie auch in moralphilosophischer Hinsicht (unter Zuhilfenahme der Methodik des „Ockhamschen Rasiermessers“) zu beantworten versuche.
Wer also ist schuld am Chaos, das sich zurzeit beim Wolfsmanagement in Niedersachsen abzeichnet? Erlauben wir uns den Versuch einer (vereinfachten) Antwort:
- Derjenige, der diesen Gesetzesentwurf, der offensichtlich nicht mit dem EU-Recht „harmonisiert“ wurde, trotz aller fachlichen Warnungen auf den Weg durch die Instanzen brachte. Als „schlechtes“ Gesetz erweist es sich spätestens, wenn es in der Folge ständig diskutierter Gegenstand währender Rechtstreitigkeiten wird. Wenige Tage nach dem es in Kraft getreten ist, ist das bereits der Fall. Ein erstes Beschwerde-/Vertragsverletzungsverfahren gibt es bereits.
Diejenigen, die am Entstehungsprozess im Bundestag und Bundesrat beteiligt waren und die es – trotz zahlreicher fachlicher Einwände – nicht in dieser Form verhindert haben. Meiner bescheidenen Meinung nach hätten es spätestens die Grünen im Bundesrat stoppen müssen. Haben sie aber nicht…
Diejenigen, die auf dieser fragwürdigen Grundlage zweifelhafte Abschussgenehmigungen erteilen.
Jene, die sich auf dieser zweifelhaften Grundlage bereit erklären zu schießen.
Diejenigen, deren vermeintlich prekäres Nutztierhalterdasein auf ein fragwürdiges Geschäftsmodell beruht, welches aufgrund persönlicher Bedenken und Uneinsichtigkeiten hinsichtlich notwendiger Schutzniveaus sowohl die eigenen Tiere als auch unter Naturschutz stehende Geschöpfe nachhaltig gefährdet. Im Fall der nun zum Abschuss stehenden Herzlaker Fähe ist konkret eine „Schäferei“ gemeint, die offenbar mehr als zehnmal Wolfsrisse zu verzeichnen hatte und sich danach immer noch weitestgehend anpassungsresistent zeigte. Objektiv gesehen hingegen gibt es durchaus anderweitige zufriedenstellende Lösungsalternativen als den Abschuss der Wölfin (oder des Rudels), z.B. andere Bewirtschaftungsformen oder den Einsatz von Hirten sowie Herdenschutzhunden (wie nahezu durchgängig in Ostdeutschland sowie Ost- und Südosteuropa). Doch diesen Lösungen gegenüber zeigen sich die Protagonisten offenbar nicht aufgeschlossen. Auch deshalb dürfte der nun geplante Abschuss nicht EU-Regel-konform sein. Es sei denn es reicht, wenn künftig persönliche Befindlichkeiten oder Antipathien gegen etwas als Entscheidungsgrundlage für einen Abschuss ausreichen.
Noch zwei kleinere Klarstellungen im Kontext logischer Betrachtungen:
- Was ist eigentlich ein „ernster Schaden“ im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes? Bei einem prekären Geschäftsmodell ist dieser Schaden für den Betreiber dieses Modells offenkundig schneller existenzbedrohend als bei einem auskömmlichen Geschäftsmodell. Kann es demnach sein, dass das Leben eines Wolfes davon abhängig ist, ob jemand mehr oder weniger geschäftstüchtig oder talentiert in der Umsetzung eines Geschäftsmodells ist? Wohl kaum, oder?
Zur „Zumutbarkeit“ von Herdenschutzmaßnahmen: Einem Haupterwerbsschäfer ist grundsätzlich die Zumutbarkeit der Haltung von Herdenschutzhunden als bestmöglicher Wolfsschutz zu unterstellen. Denken Sie einfach mal darüber nach, wie es für die vielen erfolgreichen Schäfereien im Osten, Südosten und Süden Europas im Umkehrschluss aussehen würde, also dort, wo es immer Wölfe gegeben hat. Was wäre, wenn die Haltung von Herdenschutzhunden dort als unzumutbar gelten würde?
Die Ausführungen zeigen: Nichts ist so einfach wie es scheint. Das gilt wohl vor allem und insbesondere für die „Schuldfrage“. Auch hier kann man es mal mit dem Umkehrschluss versuchen. Wem gilt dann Ihr „moralphilosophischer Freispruch“?
Herzlichst
Ihr
Jürgen Vogler
Quelle: (*1) ndr.de am 8.4.2020: „Drei Landkreise machen Jagd auf Wölfin“, abgerufen am 8.4.2020, hier der Link!