MU-Info: Rede & Antwort von Umweltminister Wenzel auf die „Dringliche Anfrage“ der FDP – Wolfsmonitor

MU-Info: Rede & Antwort von Umweltminister Wenzel auf die „Dringliche Anfrage“ der FDP

Gestern, am 14. Dezember, veröffentlichte das Niedersächsische Umweltministerium (MU) folgende Presseinformation (im Wortlaut):

„Rede Umweltminister Stefan Wenzel – Antwort auf die Dringliche Anfrage (LT-Drs. 17/7085): „Was passiert, wenn Herdenschutzmaßnahmen den Wolf nicht mehr abhalten?“              

– Es gilt das gesprochene Wort –

„Anrede,

ich danke herzlich für ihre Anfrage! Wolf und Hund haben seit Jahrtausenden mit Menschen zusammen gelebt. Allerdings ist der Wolf in den letzten 100-150 Jahren in Mitteleuropa ausgerottet worden. Hier ist viel Erfahrungswissen verloren gegangen. Das betrifft die Nutztierhalter ebenso wie Menschen, die sich in Natur und Landschaft bewegen.“Das betrifft die Nutztierhalter ebenso wie Menschen, die sich in Natur und Landschaft bewegen. In sehr vielen Ländern Europas ist der Wolf immer heimisch geblieben, in einigen Bundesländern ist er bereits vor ca. 15 Jahren aus dem Osten kommend wieder zugewandert. Der Wolf ist wie die Giraffe, der Elefant und der Löwe durch das Washingtoner Artenschutzabkommen und durch nationales Recht geschützt.

Zu Recht erwarten andere Länder, dass wir genauso sorgfältig mit unserer Tier- und Pflanzenwelt – unserem gemeinsamen Weltnaturerbe – umgehen, wie andere Länder auch. Dennoch ist die Entnahme einzelner Tiere unter Anlegung strenger Kriterien und im Ausnahmefall möglich. Diese Kriterien besagen unter anderem, dass vor einer Entnahme alle milderen Alternativen tatsächlich erfolglos geblieben sind.

Der Fragesteller zitiert eine Zwischenauswertung der dokumentierten Nutztierrisse. In der Tat gibt es nach dieser Auswertung eine leichte Entspannung bei den Risszahlen, die zeigt, dass Herdenschutzmaßnahmen greifen. Diese Beobachtung wurde auch in Regionen gemacht, wo der Wolf schon länger zurückgekehrt ist. Die Risszahlen gehen zurück, wenn die Nutztierhalter ihren Herdenschutz verbessert haben.

Grundsätzlich hat sich gezeigt, dass ein wirksamer Herdenschutz gegen den Wolf möglich ist. Am wirksamsten sind dabei Herdenschutzmaßnahmen, die den Wolf von vornherein davon abhalten, mit der Erbeutung von Nutztieren positive Erfahrungen zu machen.

Jede Verzögerung in der Umsetzung von Herdenschutzmaßnahmen durch die Nutztierhalter führt dazu, dass die verschiedensten Wolfsindividuen Nutztiere als Beute schätzen lernen können. Die Analyse von mehr als 4.000 Losungsproben hat jedoch gezeigt, dass sich Wölfe in Deutschland zu 92,2% von Schalenwild ernähren. Nur 0,8% entfallen auf Nutztiere.

Präventionsmaßnahmen können die Wölfe in der überwiegenden Zahl der Fälle davon abhalten, Nutztiere zu reißen. Die Jagd auf Schalenwild wiederum verringert den Wildverbiss und auch die Zahl der Wildunfälle. Diese beiden Aspekte sind volkswirtschaftlich durchaus von Bedeutung, da derzeit allein in Nieder­sachsen etwa 15.000 km Zaun zum Schutz vor Wildverbiss errichtet wurden. Der finanzielle Aufwand übersteigt die Kosten des Wolfsmanagements um ein Vielfaches.

Zudem wird die Resilienz der Ökosysteme gestärkt. Dabei ist der Wolf genauso geschützt, wie viele andere heimische Säugetiere, Vögel, Reptilien und Insekten. Im Alltag weniger diskutiert, aber von ungleich höherer Relevanz ist der massive Artenverlust unserer Naturräume. So haben wir beispielsweise bei der Lerche einen Rückgang von fast 70% zu verzeichnen. 47 Indikatorarten der Vögel weisen einen Rückgang von gut einem Drittel auf. Auch unsere eigene menschliche Ernährung basiert auf den Ökosystemdienstleistungen der Natur. Sauberes Wasser, klare Atemluft und fruchtbare Böden lassen sich nicht künstlich herstellen. Allein die Bienen und Wildbienen sind von unschätzbarem Wert für die Bestäubung unserer Nahrungspflanzen. Es gibt also sehr gute Gründe für den bestmöglichen Schutz unserer Natur.

Wölfe sind nicht in der Lage, zwischen Wildtieren und Nutztieren eine grundsätzliche Unterscheidung vorzunehmen, beide sind potenzielle Beutetiere. Die Erbeutung wird bei Wildtieren durch deren Feindvermeidungsverhalten erschwert, bei Nutztieren u. a. durch Präventionsmaßnahmen des Menschen. Zu diesen Präventionsmaßnahmen gehören in erster Linie entsprechende Zäune – als wirksam haben sich vor allem elektrifizierte Zäune erwiesen, die auch in Bodennähe stromführend sind, so dass ein Wolf bei dem Versuch, diesen Zaun zu untergraben, zwangsläufig Stromschläge erhalten muss. Ebenfalls wirksam sind feste Zäune, die tief genug in den Boden eingelassen sind, um ein Untergraben wirksam zu verhindern und bei denen auch ein Darüberklettern unmöglich gemacht wird.

Erheblich erhöht wird die Wirksamkeit von Zaunanlagen durch die Anwesenheit von Herden­schutztieren – hinreichend erprobt sind Herdenschutzhunde, die jedoch nach Möglichkeit mindestens als Zweierteam eingesetzt werden sollen. Für größere Herden auch mehr Hunde. Haben Wölfe gelernt, Elektrozäune zu überspringen, hat es sich als wirksam erwiesen, in ca. 20 cm Abstand direkt über dem Elektrozaun ein Flatterband zu spannen. Einer Meldung des Kontaktbüros Wolfsregion Lausitz zufolge, gab es auch in Sachsen keinen einzigen Fall, bei dem es zu einer Überwindung eines Zauns mit ordnungsgemäß angebrachtem Flatterband kam.

Nutztiere, für die der Mensch keine entsprechenden Präventionsmaßnahmen umgesetzt hat, sind für Wölfe eine leichte Beute. Wölfe sind in der Lage, Schwachstellen der vom Menschen installierten Präventionsmaßnahmen herauszufinden und zu deren Überwindung auszunutzen.

Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob diese Schwachstellen durch fehlerhaftes Aufstellen oder durch höhere Gewalt entstanden sind. Auch die nächtliche Stallhaltung trägt wirksam zum Schutz bei. Moderne Stallhaltungsysteme wie Boxenlaufställe haben u. a. dazu beigetragen, dass die Weidehaltung insgesamt zurückgegangen ist. Der Erhalt der Weidehaltung und des Grünlandes liegt jedoch zugleich im landwirtschaftlichen, wie auch im naturschutzfachlichen Interesse. Deshalb muss eine wirksame Beratung und Unterstützung der Weidetierhaltung geleistet werden. Gerade Weidetierhalter haben oft geringere Einkommenserwartungen als Ackerbau- oder Veredelungsbetriebe.

Alle Maßnahmen des Wolfsmanagements unterliegen einem kontinuierlichen Verbesserungs­prozess, einem Erfahrungsaustausch mit anderen Bundesländern und im internationalen Kontext. Derzeit wird das Wolfskonzept in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Wolf fortgeschrieben, weil viele Ansätze von 2010 nicht mehr zeitgemäß waren.

Der Bund leistet zudem wertvolle Unterstützung mit der Dokumentations- und Beratungsstelle DBBW. Ich will auch betonen, dass die Sicherheit des Menschen immer an erster Stelle steht. Deshalb war auch die Entnahme­entscheidung richtig, die wir getroffen haben. Die letzte Umweltministerkonferenz hat die Maßnah­men der Länder einmütig begrüßt und den Bund zudem gebeten regelmäßig zum Erhaltungszustand zu berichten.


Dies vorausgeschickt beantworte ich die Fragen wie folgt:

1.       Ab welchem Zeitpunkt sieht die Landesregierung die Notwendigkeit, Wölfe, die Nutztiere gerissen haben, zu vergrämen, und wann betrachtet sie eine Vergrämung als erfolgreich?

Beim Schutz vor Wolfsangriffen dienen die Herdenschutzmaßnahmen wie geeignete Zäune, stromführende Drähte und Herdenschutztiere der Vergrämung. Herdenschutzmaßnahmen sind erfolgreich, wenn sie dazu führen, dass auf der betreffenden Fläche keine Nutztiere mehr gerissen werden.


2.      Wie viele Kilometer Zaun müssten nach Auffassung der Landesregierung mit welchen Kosten pro Weidetierhalter in Niedersachsen verbaut werden, damit alle Berufs- und Hobbyweidetierhalter ihre Tiere wolfssicher einzäunen können?

Siehe auch Antwort auf Frage Nr. 46 der Großen Anfrage zum Wolf, LT-Drucksache 17/5112.

Nach jahrelangem Rückgang, ist seit 2013 die Zahl der Schafe und schafhaltenden Betriebe in Niedersachsen – anders als im Bundestrend – wieder deutlich (+7,8% von 2013 auf 2015) gestiegen. Hauptursache dafür war die Entscheidung der Landesregierung, die Heide- und Deichflächen in Niedersachsen in die Agrarförderung neu aufzunehmen. Das Landwirt­schaftsministerium hat 2013 entschieden, dass die von Schafen oder Ziegen beweideten Flächen die vollen Agrarprämien bekommen sollen. Unter der Vorgängerregierung bis 2013 galten diese Flächen nicht als landwirtschaftliche Nutzflächen und bekamen keine EU-Agrarförderungen. Seit 2014 mit Beginn der Förderperiode sind zur Unterstützung der Schafhalter großflächig bewirtschaftete Flächen – sog. Dauerweiden in der Lüneburger Heide und auf Deichen – in die Förderung der EU in Niedersachsen neu aufgenommen worden. Es handelt sich um etwa 10.000 ha. Die Höhe der Subvention ist abhängig von der landwirt­schaftlichen Fläche, die ein Betriebsleiter bewirtschaftet. Im Durchschnitt erhält ein Empfänger von Direktzahlungen in Niedersachsen 16.000 Euro pro Jahr. Daneben kann er bzw. sie bei Vorliegen der Voraussetzungen an verschiedenen Agrarumweltmaßnahmen teilnehmen, die unterschiedliche Fördersätze aufweisen. 

Gemäß Nutztierhalterverordnung sind Tiere soweit erforderlich und möglich vor widrigen Witterungsverhältnissen und vor Beutegreifern zu schützen. Zur Unterstützung erhalten Tierhalter zudem Zuwendungen nach der Richtlinie Wolf. Diese Zahlungen umfassen im Jahr 2016 ca. 260.000 Euro und fallen bislang noch unter die de-minimis Regel. Bislang konnten alle Anträge bedient werden. Die Länge der Zäune hängt von verschiedensten Faktoren und Entwicklungen ab und ist von Region zu Region sehr verschieden. Statistiken liegen dazu nicht vor.

Das Umweltministerium prüft derzeit, ob die Förderung auch auf Hobbyhalter ausgedehnt werden kann und ob eine erneute Förderung nach Ablauf einer Abschreibungsfrist möglich und sinnvoll ist.


3.      Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Landesregierung in dem Fall, in dem vermutlich ein Wolf in Südergellersen innerhalb einer Woche dreimal eine Schafsherde angegriffen hat, obwohl diese durch einen wolfssichereren Zaun, einen Esel sowie beim letzten Angriff durch einen Herdenschutzhund geschützt war?

Zur Abwehr von Wölfen werden in der Regel Zäune eingesetzt, die bestimmte Mindestanforderungen hinsichtlich ihrer Beschaffenheit erfüllen müssen (siehe Definition „wolfsabweisender Grundschutz“ in der Anlage 1 zur Richtlinie Wolf). Zäune, die diesen Anforderungen genügen, sind in der Regel ausreichend zur Vermeidung von Wolfsübergriffen. Einen 100-Prozent wolfsicheren Schutz der Nutztiere vor Wolfsübergriffen bieten aber solche Zäune nicht. Verschiedene Umstände können dazu führen, dass die Zäune Schwachstellen aufweisen, insbesondere wenn sie durch Einwirkung äußerer Kräfte – Wind, Äste oder Ähnliches –  in ihrer Form beeinträchtigt wurden. In seltenen Fällen können Wölfe lernen, auch intakte Schutzmaßnahmen zu überwinden. 

Sowohl der örtliche Wolfsberater, als auch eine Mitarbeiterin des Wolfsbüros des NLWKN waren bei Südergellersen vor Ort, um die Risse und auch die Gesamtsituation zu dokumentieren. Die Auswertung der Spurenlage ist noch nicht abgeschlossen. Zum Beispiel fehlt auch noch das Ergebnis der genetischen Analyse.

Mit dem Tierhalter wurde über Möglichkeiten zur Verstärkung des Herdenschutzes gesprochen und Material wie Lappenzaun und Flatterband inklusive höherer Zaunstäbe zur Verfügung gestellt.

Der beim dritten der inzwischen vier Übergriffe anwesende Herdenschutzhund befand sich ganz frisch in der Herde, um diese an die Anwesenheit von Herdenschutzhunden zu gewöhnen. Eine tatsächliche Schutzfunktion hatte dieser einzelne Hund in der siebenhundert­köpfigen Herde noch nicht.

Beim letzten Rissvorfall befanden sich zwei Herdenschutzhunde in der Herde. Diese haben anscheinend auch größere Schäden erfolgreich verhindert, denn nicht einmal das einzige gerissene Tier wurde vom Wolf genutzt. Allerdings war auch hier dem Wolf das Eindringen nicht auf ganzer Zaunlänge effizient erschwert worden, da teilweise das Flatterband mit bis zu 40 cm Abstand außen vor dem Zaun und noch dazu in viel zu großer Höhe angebracht war und nicht, wie empfohlen in 20 cm Abstand direkt über dem Elektrozaun. Einen ähnlichen Fall gab es bereits im Raum Goldenstedt, in dem das zu hoch über dem Zaun angebrachte Flatterband vom Wolf – für Fachleute erwartungsgemäß – ignoriert und beim Überspringen des Elektro-Netzzaunes untersprungen wurde. Ein Flatterband, das vom Wolf schon bei der Annäherung an den Zaun unterquert werden kann, wird von diesem gar nicht mehr als Hindernis wahrgenommen.

In Sachsen, wo das Rosenthaler Rudel gelernt hatte, reguläre Elektrozäune von 90 cm Höhe zu überspringen, ist nach – ordnungsgemäßem – Anbringen von Flatterband kein Fall eingetreten, bei dem diese bereits „spezialisierten“ Wölfe diesen verbesserten Grundschutz überwunden hätten.

Die Erfahrungen mit Südergellersen haben gezeigt, dass die schnelle Bereitstellung eines verbesserten Grundschutzes essentiell ist. Das Meldesystem wird daher verändert. Meldungen der Wolfsberater gehen künftig direkt an das Wolfsbüro und in Kopie an Jäger­schaft und untere Naturschutzbehörde. Das Verfahren zur Feststellung der Rissursachen wurde beschleunigt, wird aber noch weiter verbessert.

Künftig soll den Tierhaltern noch schneller Beratung und praktische Unterstützung zukommen. Dabei wird geprüft, wie verstärkt konkrete Soforthilfe vor Ort geleistet werden kann. Dass kann die Bereitstellung von Zaunmaterial sein, dass kann tatkräftige Unter­stützung sein, dass kann gegebenenfalls auch die temporäre Unterstützung mit Herden­schutzhunden und erfahrenen Hirten sein.

Fakt ist aber auch, dass eine rechtzeitige Vorsorge der Weidehalter unabdingbar ist. Das ist von entscheidender Bedeutung.


Zahlen, Daten, Fakten zum Wolf in Niedersachsen finden Sie hier>>.


 Ansprechpartner:

Rudi Zimmeck, Pressesprecher, Archivstraße 2, 30169 Hannover, E-Mail: Rudi.Zimmeck@mu.niedersachsen.de


Quelle: www.umwelt.niedersachsen.de, Presseinformation vom 14.12.2016: „Wenzel: Antwort auf Dringliche Anfrage Herdenschutzmaßnahmen“

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