Kennen Sie, liebe Leserinnen und Leser den Begriff der sogenannten „Filterblase“? Der Begriff erklärt das Phänomen, mit genau den Informationen versorgt zu werden, die mit den bisherigen persönlichen Ansichten übereinstimmen.
Filterblasen sind eine übliche Erscheinung, sowohl in Gemeinschaften Gleichgesinnter als auch seit einigen Jahren im Internet.
Haben Sie sich vielleicht schon einmal darüber gewundert, warum man Ihnen immer öfter genau die Werbung im Netz präsentiert, die auf Sie zugeschnitten ist? Genau das ist ein Beispiel für eine Filterblase!
Sie können sich heute sogar – wenn Sie mögen – Ihren persönlichen „Newsfeed“ so programmieren, dass Sie genau die Nachrichten empfangen, die zu Ihnen passen.
Wenn Sie sich ausreichend lange immer wieder in denselben Kreisen bewegen oder dieselben Medien nutzen, kann es passieren, dass Ihr Bewusstsein den Filterblaseneffekt langsam und unmerklich ausblendet und Sie so dessen „Opfer“ werden. Sie finden sich dann überall in Ihrer Meinung bestätigt, weil Sie ständig in Ihren Ansichten bestärkt werden.
Das ist einerseits zwar sehr angenehm, hat andererseits mit der Realität jedoch meistens nur noch wenig zu tun. Denn Sie leben dann quasi unter einer unsichtbaren „Käseglocke“ der selbstgewählten Harmonie.
Das ist übrigens auch gar nicht selten in den sozialen Medien so. In einigen Gruppen der verbreitetsten dieser Internetplattformen sind Sie nur dann willkommen, wenn Sie die Meinung der anderen Gruppenmitglieder weitestgehend teilen oder bestenfalls sogar stützen. Tun Sie das nicht, laufen Sie Gefahr, ohne große Vorwarnung aus der Gruppe entfernt zu werden. In diesem Fall sind Sie – dieses Mal jedoch offensichtlich – ebenfalls „Opfer“ des Filterblaseneffekts geworden.
Doch das Phänomen der Filterblase erklärt lange noch nicht alles, was gleich folgt. Sie ist zwar ein fruchtbarer Nährboden für die Erklärung einzelner Phänomene. Wenn nun aber noch in Anlehnung an das 1911 in Deutschland erschienene Buch „Psychologie der Massen“, von Gustave le Bon die drei beeinflussenden Elemente „Behauptung, Wiederholung und Übertragung“ (S. 88) wirksam werden und man darüber hinaus berücksichtigt, dass die meisten Menschen für ihr Seelenwohl nach persönlicher „Beachtung, Anerkennung und Zugehörigkeit“ streben, dürfte das für das Verständnis der nächsten Zeilen zusätzlich hilfreich sein.
Auf einer Veranstaltung der CDU im niedersächsischen Kirchlinteln mit dem Thema „Der Wolf ist da – was ist zu tun?“ wurde kürzlich eine nahezu unvorstellbare Geschlossenheit demonstriert. 200 Veranstaltungsteilnehmer waren da und bis auf zwei Ausnahmen votierten alle bei einer spontanen Abstimmung dafür, dass man den Wolf „dort nicht will“.
99 Prozent gegen den Wolf also. Ich rieb mir beim Lesen dieser Meldung verwundert die Augen!
Hieß es nicht im September 2015 noch in einer Forsa-Umfrage, dass 80 % aller Deutschen Wölfe wollen?
Wie also ist das Abstimmungsergebnis erklärbar?
Dem Bericht auf der Webseite der Partei in Kirchlinteln gemäß, lud man sich einige „Fachleute“ zur Veranstaltung ein (*1).
Genannt werden als solche einige Politiker, darunter der Landespolitiker Ernst Ingolf Angermann, ein Pferdezüchter sowie ein Vertreter des Hannoveraner Pferdezuchtverbandes und der Leiter des Wolfcenters aus dem rund 20 Kilometer vom Veranstaltungsort entfernten Dörverden, Frank Faß.
Was von ihm allerdings, dem aus meiner Sicht einzigem in der Runde, der über nennenswertes Wolfswissen verfügen sollte, berichtet wird, dürfte am Ende die Ängste der Anwesenden eher geschürt anstatt zur Beruhigung der Gemüter beigetragen haben. Ich zitiere: … „Der Wolf-Experte bestätigte, dass Kinder oder Jugendliche von Wölfen als Beute angesehen werden können.“
Mit Blick auf die beiden auch andernorts immer wieder zitierten Gutachten, der NINA- und der McNay-Studie, ist die Aussage historisch gesehen und bei eingeschränkter Betrachtungsweise zwar nicht ganz falsch, sie dürfte allerdings Wasser auf die Mühlen derjenigen gewesen sein, die an diesem Abend anwesend waren und wirkt in der nachträglichen Berichterstattung als ein nicht unmaßgeblicher Grund für das Abstimmungsergebnis.
Auf der Webseite der CDU-Kirchlinteln beruft man sich darüber hinaus auch auf einen Bericht des weltanschaulich eher einsilbigen Magazins „Top Agrar“. Genau dieser Artikel besticht nicht gerade durch Präzision, wie ein Interview auf Wolfsmonitor mit dem zuständigen Wolfsberater zu genau den dort zitierten Ereignissen beweist (hier der Link!).
Bereits allein aufgrund dieser beiden Beispiele wirkt das Abstimmungsergebnis in Kirchlinteln auf mich aus der Ferne so, als wäre es überwiegend den oben genannten psychologischen Effekten und einer gewissen Einseitigkeit der vertretenden Meinungen geschuldet.
Darf nun daraus abgeleitet werden, dass Wölfe „auf dem Land“ grundsätzlich keine Zustimmung finden?
Das glaube ich nicht. Der zur Veranstaltung geladene CDU-Politiker Ernst Ingolf Angermann zum Beispiel forderte bereits im November 2015 den Abschuss der sogenannten „Goldenstedter Wölfin“ (*2). In Kirchlinteln erntete er augenscheinlich ebenfalls große Zustimmung für seine Äußerungen.
Letzten Freitag allerdings wurde dem niedersächsischen Umweltminister eine Liste mit über 70.000 Unterschriften zur „Rettung“ genau dieser „Goldenstedter Wölfin“ übergeben (siehe hier!).
Das macht für mich zweierlei deutlich: Erstens, dass die jeweiligen Interessenskreise es in beiden Fällen sehr gut verstanden haben, sich zu organisieren. Und zweitens, dass die Diskussion um die Zukunft der Wölfe noch immer sehr polarisierend geführt wird.
Man kann halt eine abschließende Frage so formulieren, dass entweder die Zustimmung oder Ablehnung gefordert ist, Fragen also nur mit “Ja“ oder mit „Nein“ beantwort werden können.
Ich frage mich allerdings, ob so ein pauschales Urteil überhaupt der Komplexität des Sachverhalts angemessen ist.
Parteifunktionär Wilhelm Hogrefe schlug nach der Anhörung der „Fachleute“ in Kirchlinteln eine Landkreis-übergreifende Unterschriftensammlung mit dem Ziel vor: „Der Schutzstatus des Wolfes soll fallen“.
Auch diese Absicht lässt sich scheinbar simpel mit einem „Ja“ unterstützen oder mit einem „Nein“ beantworten. Man unterschreibt auf der Liste oder eben auch nicht (wie übrigens die 70.000 auch). Ich bin sehr gespannt, wie das Ergebnis dieser neuen Unterschriftensammlung ausfallen wird und wer letztlich der Einladung zur Unterschrift überhaupt folgen kann!
99% sind ein beeindruckendes Quorum! 70.000 Unterschriften allerdings auch!
Ich versuche nicht, diese 99% anzuzweifeln. Dazu gibt es keinen Grund. Ich suche nur nach Erklärungen dafür, wie es spontan zu so einer großen Übereinstimmung kommen konnte. Ein breit getragenes gesellschaftliches Stimmungsbild darüber, wie es „auf dem Lande“ aussieht, ergibt sich aus dem Abstimmungsergebnis in Kirchlinteln für mich jedoch nicht. Denn es braucht schon einen besonderen Charakter, um sich spontan der überwältigenden „Psychologie der Massen“ entziehen zu können. Siehe dazu Gustave le Bon….und dann wirkt noch die „Filterblase“!
Herzlichst
Ihr
Jürgen Vogler
P.S.: Mal außerhalb der eben genannten Filterblase: Im Jahr 2014 gab es Medienberichten zufolge 10.200 Unfälle mit Rindern, vier davon tödlich (*3). Ich male mir gerade in Gedanken aus, zu welchem Abstimmungsergebnis der selbe Personenkreis kommen würde, wenn man eine gleichartige Veranstaltung zum Thema „Gefährliche Rinder – was ist zu tun?“ organisieren würde… Aber das ist nur (m)ein Gedankenspiel…
Quellen:
(*1) CDU Kirchlinteln, www.cdu-kirchlinteln.de, Beitrag vom 09.03.2016: „Den Wolf wollen wir hier nicht“abgerufen am 15.03.2016, hier der Link!
(*2) NDR, www.ndr.de, Beitrag vom 11.11.2015: CDU fordert:“Wolf muss erschossen werden“, abgerufen am 15.03.2016, hier der Link!
(*3) Die Welt, www.welt.de, Beitrag vom 05.01.2015: „Mehr Tote durch Kühe als durch Weiße Haie“, abgerufen am 15.03.2016, hier der Link!