Die jungen Wölfe, die Ende April/Anfang Mai das Licht der Welt erblickten, sind nun im Oktober fünf Monate alt. Noch immer legen sie in jeder Woche rund 1,5 Kilogramm an Körpergewicht zu. Bereits im November werden sie eine stattliche Größe erreicht haben und durch den Wechsel vom Sommer- zum Winterfell von den Elterntieren optisch kaum noch zu unterscheiden sein.
Immer häufiger begleiten sie ihre Eltern nun ins Jagdrevier. Die jungen Wölfe lernen dabei ihre weitere Umgebung kennen und erste Jagdstrategien auf leicht zu erbeutendes Schalenwild anzuwenden. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es nun erneut zu einer höheren Anzahl von Sichtungen ganzer Rudel und deshalb auch entsprechender Meldungen in der Presse kommen wird.
Besonders die Weidetierhalter sind gerade zur besonderen Vorsicht aufgerufen, wenn sie sich nicht später dem Vorwurf aussetzen lassen möchten, sie hätten den Wölfen leichte Beute ermöglicht. Denn unzureichend geschützte Nutztiere sind in diesem Stadium des Rudeldaseins durch den „Nahrungsopportunisten Wolf“ besonders gefährdet. Hinzu kommt, dass im Herbst der Anteil leicht zu erbeutender Wildtiere etwas zurückgeht, weil einerseits die Rehkitze zunehmend fluchtfähiger werden und die im September für die Waidmänner beginnende Jagdzeit auf das Schalenwild andererseits dazu führt, dass das bisher üppige Nahrungsangebot in seiner Summe etwas abnimmt. Aus diesen Gründen steigt üblicherweise gerade im Herbst die Zahl der Nutztierrisse. Später jedoch – wenn die Jungwölfe andere Jagdstrategien erlernt und verfeinert haben – normalisiert sich dieses Phänomen wieder.
Im Oktober, so mein letzter Wissenstand, sollen nun die offiziellen Zahlen des letzten Wolfsjahres (ein solches Wolfsjahr endet jeweils am 30. April und beginnt am 1. Mai) veröffentlicht werden. Im letzten Wolfsjahr ging man von rund 250 bis 300 Wölfen in Deutschland aus. In der Regel werden jedoch nicht die einzelnen Wölfe gezählt, sondern Rudel, Wolfspaare und „residente Einzelwölfe“. Die Rudel werden mit einer statistischen Zahl (8 oder 9 Exemplare je Rudel) multipliziert. Derzeit geht man von rund 30 Wolfsrudeln in Deutschland aus, die Zahlen unterscheiden sich hier – je nach Quelle – um wenige Rudel nach oben oder unten.
Der zurzeit wissenschaftlich akzeptierte „Reproduktionsfaktor“ bei Wölfen liegt bei 1,3. Das heißt, dass die Wolfspopulation jährlich um rd. 30 % ansteigt. Dieser Reproduktionsfaktor dürfte mit zunehmender „Wolfsdichte“ allerdings sinken, Fachleute vermuten – bei einem sonst gesunden Bestand – bis auf den Faktor 1,1. Das bedeutet nichts anderes, als dass sich die Population jährlich nur noch um 10% vermehrt. Rein mathematisch befinden wir uns gerade jedoch in einer Phase, in der das Populationswachstum – wie gesagt, rein theoretisch – exponentiell zunehmen könnte, bis es dann später aus verschiedensten Gründen (alle optimalen Lebensräume besetzt, Krankheiten, Verkehrstot, illegale Tötungen, etc.) wieder abflacht.
Der Wolfsbestand düfte deshalb – sollten wir uns in Deutschland noch in der Phase der „Wolfsexpansion“ befinden, wovon ausgegangen werden kann – nach der neusten Zählung zwischen rund 325 und 390 Wölfen liegen. Ob also wirklich eine „Welle auf uns zukommt, die so keiner vorhergesehen hat“, wie es jüngst ein deutscher Jagdfunktionär in den Medien äußerte, bleibt abzuwarten. Der Oktober wird uns Aufschluss darüber geben. Wir sind gespannt….
Herzlichst
Ihr
Jürgen Vogler