Oliver Weirich: Wachstumsmodell der Wolfspopulation – Wolfsmonitor

Oliver Weirich: Wachstumsmodell der Wolfspopulation

Nachdem Diplom-Biologe Oliver Weirich trotz längerer Suche kein logistisches Modell zum Populationswachstum des Wolfes in Deutschland fand, entwickelte er selbst eines, das nachfolgend vorgestellt wird. Weirich kommentiert das Modell einleitend: „Da es aber anderen vermutlich genauso geht wie mir, und ich mein Modell nach bestem Wissen und Gewissen und in der gebotenen Vorsicht der Interpretation erstellt habe, könnte es wirklich für den ein oder anderen Wolfsinteressierten nützlich sein. Meine Grundaussage ist, dass wir uns nicht auf dem Schutzstatus des Wolfes ausruhen dürfen, sondern die wolfsskeptischen Menschen gewinnen müssen, weil der Schutzstatus nicht mehr ewig gelten wird.“


Logistisches Wachstum der Wolfsrudel in Deutschland


Einleitung:

Das schnelle Populationswachstum des Wolfes in Deutschland führt zu geteilten Empfindungen in der Bevölkerung. Während viele Tier- und Naturschützer sich freuen, haben vor allem einige Nutztierhalter und Jäger erhebliche Bedenken. Diskussionen verlaufen wegen dieser Polarisierung oft emotional. Entsprechend hilfreich wäre es, die zukünftige Entwicklung der Rudelanzahl in Deutschland grob einschätzen zu können. Hierzu habe ich im Internet nur Quellen gefunden, die von einem exponentiellen Wachstum und konstanten Wachstumsraten ausgehen. Es ist jedoch bekannt, dass knapper werdende Ressourcen mit der Zeit zu einer Verringerung der Wachstumsrate einer größer werdenden Population führen. Dies ist im bekannten Modell des logistischen Wachstums berücksichtigt und entsprechend werden solche Prognosen in Fachkreisen sicher auch verfügbar sein. Da ich ein solches Modell für den Wolf in Deutschland aber nicht gefunden habe, habe ich es jetzt selbst erstellt und hoffe, dass es auch anderen nützt.


Material und Methode:

Nur für den deutschen Teil der zentraleuropäischen Flachlandpopulation lagen mir alle nötigen Zahlen vor, um das Wachstum zu berechnen. Vereinfachend habe ich deshalb nur den deutschen Teil der zentraleuropäischen Flachlandpopulation betrachtet. Für diesen habe ich nach Felix Knauer (zitiert in Wotschikowsky 2013) eine Umweltkapazität K von 440 Rudeln angenommen.

Als maximale Wachstumsrate rmax habe ich die durchschnittliche Wachstumsrate der Jahre 11/12-15/16 (DBBW 2017) ermittelt: 28,6%. Als Startgröße N0 der Population habe ich die für das Jahr 15/16 (vorläufig) angegebenen 47 Rudel gewählt (DBBW 2017). Die jährlichen aktuellen Zuwachsraten rt habe ich mit der Gleichung dN/dt = rmax Nt (K-Nt/K) = 0,286Nt(440-Nt/440) ermittelt, wobei Nt die für jedes Jahr aktualisierte Populationsgröße darstellt (Nt=Nt-1(1+rt-1) (Campbell & Reece 2006).


Quelle: Weirich

Diskussion:

Die deutschen Wölfe mussten hier mangels Zahlen für Polen isoliert von der westpolnischen Hälfte der zentraleuropäischen Flachlandpopulation betrachtet werden. Man mag über den Sinn einer derart vereinfachten Berechnung geteilter Meinung sein. Zumindest ist sie aber eine deutlich bessere Diskussionsgrundlage als alle Modelle, die ebenfalls nur die deutschen Wölfe betrachten und als weiteren Schwachpunkt auch noch von einem exponentiellen Wachstum ausgehen.

Ein paar interessante Punkte der Kurve möchte ich herausheben: Wann ist die maximale Anzahl von Rudeln in Deutschland erreicht? Die von Knauer ermittelte Umweltkapazität von 440 Rudeln wird nach diesem Modell im Jahr 2045 erreicht. Jedoch liegt die Zahl bereits 2032 mit 406 Rudeln nahe daran. Wann ist die günstige Referenzpopulation des Wolfes in Deutschland erreicht? Für den günstigen Erhaltungszustand einer Population ist laut den von der EU-Kommission „als beste fachliche Grundlage verwendeten“ (Reinhardt et al. 2015) Empfehlungen von Linnell et al. (2008) Folgendes erforderlich:

  1. Sie ist stabil oder nimmt zu.
  2. Sie hat genügend geeigneten Lebensraum zur Verfügung.
  3. Dieser Lebensraum wird seine Qualität beibehalten.
  4. Die Größe der günstigen Referenzpopulation (Favorable Reference Population, FRP) ist erreicht (in Anlehnung an die Rote Liste Kriterien D oder E der IUCN)
  5. Die Population ist so groß wie oder größer als zu dem Zeitpunkt, als die Direktive in Kraft trat.
  6. Das geeignete Referenzgebiet (Favorable Reference Range, FRR) ist besetzt.
  7. Ein Austausch von Individuen innerhalb der Population bzw. zwischen Populationen erfolgt oder wird gefördert (mind. ein genetisch effizienter Zuwanderer per Generation).
  8. Ein effizientes und robustes Monitoring ist etabliert.“ (Reinhardt et al. 2015)

Zu Kriterium 4 werden 1000 geschlechtsreife Individuen als Minimum für die günstige Referenzpopulation angesehen (Linnell et al. 2008, IUCN 2012, Reinhard et al. 2015). Die Wölfe der zentraleuropäischen Flachlandpopulation verteilen sich etwa gleich auf die deutsche und die westpolnische Seite (Wotschikowsky 2013).

Unterstellt man, dass sich beide Populationen im betrachteten Zeitraum gleich entwickeln, müssten für das Kriterium der günstigen Referenzpopulation auf deutscher Seite nur 500 geschlechtsreife Tiere vorhanden sein. Nach Wotschikowsky (2013) lässt sich die Zahl der geschlechtsreifen Tiere einer Population ermitteln, indem man die Zahl der Rudel mit 3 multipliziert (die beiden Elterntiere + 1/3 geschlechtsreife Tiere, die allein oder als Paare leben). Die 500 geschlechtsreifen Tiere in Deutschland wären nach Wotschikowsky (2013) bei 167 Rudeln erreicht. Nach meinem Modell wäre das im Jahr 2022/23.

Bemerkenswert finde ich, dass Linnell et al. (2008) für vernetzte Populationen die ausreichende Populationsgröße von 1000 auf 250 geschlechtsreife Tiere herabsetzen. Hierfür sind jedoch so viele Zuwanderer notwendig, dass diese auch einen demografischen Einfluss haben. Ein eingekreuzter Zuwanderer pro Generation (also alle zwei Jahre) wird schon allein als notwendig bezeichnet, um Inzucht zu verhindern. Für einen signifikanten demografischen Effekt bräuchte es jedoch höhere Migrationsraten.

In Bayern war es kürzlich der Fall, dass ein italienischer Rüde mit einer polnischen Wölfin ein Rudel gründete. Es erscheint deshalb möglich, dass die günstige Referenzpopulation schon bald über die Vernetzung erreicht wird. Die dann noch nötigen etwa 125 geschlechtsreifen Tiere in Deutschland waren schon 2015/16 vorhanden. Linnell et al. (2008) betonen, dass es sich bei den genannten Populationsgrößen um absolute Minima handelt. Größere Populationen wären ökologisch günstiger. Das Kriterium 4 (Populationsgröße) ist auch nur eines von acht, so dass keinesfalls von zwangsläufigen Konsequenzen für den Schutzstatus des Wolfes ausgegangen werden muss, wenn 1000 geschlechtsreife Tiere oder eine ausreichende Vernetzung erreicht sind.

Es liegt jedoch auf der Hand, dass wolfsskeptische Bevölkerungsgruppen diese Forderungen dann erheben werden. In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass Spitzenpolitiker aller Parteien des neuen Bundestags außer den Grünen bereit sind, zugunsten dieser Wähler einen härteren Kurs gegenüber dem Wolf zu fahren. Linnell et al. (2008) verweisen darauf, dass es neben der ökologischen Kapazität auch eine gesellschaftliche Kapazität für den Wolf gibt, die unter der ökologischen Kapazität liegen kann. Wie viele Wölfe sind die Menschen bereit zu dulden? Wie viele Wölfe wir über die günstige Referenzpopulation von 167 Rudeln hinaus in Deutschland erreichen werden, wird also möglicherweise weniger stark von Schutzvorschriften der EU als vom Willen der Bevölkerung abhängen.

Da dieser Zeitpunkt schon in wenigen Jahren erreicht sein könnte, empfiehlt es sich, dass diejenigen, die dem Wolf zugetan sind, sich noch mehr als bisher darum bemühen, die Wolfsskeptiker von der Möglichkeit des Zusammenlebens mit dem Wolf zu überzeugen.

Hierbei halte ich den Herdenschutz klar für das wichtigste Thema. Verbesserungen in den Bereichen Forschung, Finanzierung und Umsetzung sind Herausforderungen, deren Bewältigung wohl über die Zahl der Wolfsrudel in Deutschland entscheiden wird. Entsprechend sollten sich alle Wolfsfreunde gemeinsam mit den Nutztierhaltern dafür einsetzen, dass die Voraussetzungen hierfür von der Politik geschaffen werden.


E-Mail für Rückfragen: oliver.weirich@gmx.net


Literatur:

Campbell, N. A. & Reece J. B. (2006): Biologie. Pearson Studium, München

DBBW (2017): https://www.dbb-wolf.de/Wolfsvorkommen/territorien/karte-der-territorien

IUCN (2012): IUCN Red List Categories and Criteria: Version 3.1. Second edition. Gland, Switzerland and Cambridge, UK: IUCN. iv + 32pp.

Linnell J. V. Salvatori & L. Boitani (2008). Guidelines for population level management plans for large carnivores in Europe. A Large Carnivore Initiative for Europe report prepared for the European Commission (contract 070501/2005/424162/MAR/B2).

Reinhardt, I., Kaczensky, P., Knauer, F., Rauer, G., Kluth, G., Wölfl, S. Huckschlag, D., Wotschikowsky, U. (2015): Monitoring von Wolf, Luchs und Bär in Deutschland. BfNSkripten 413, Bonn.

Wotschikowsky, U. (2013): https://derefgmx.net/mail/client/Y4IQWIY9st0/dereferrer/?redirectUrl=http%3A%2F%2Fwoelfeindeutsc hland.de%2Fwie-viel-wolf-vertraegt-das-land