Die Nachbarschaft von Pferd und Wolf – evolutionär ein alter Hut! – Wolfsmonitor

Die Nachbarschaft von Pferd und Wolf – evolutionär ein alter Hut!

Pferd und Wolf – zwei Welten treffen aufeinander… So möchte zumindest mancher meinen. Doch ursprünglich teilten und teilen sich Pferd und Wolf eine Welt, einen gemeinsamen Lebensraum in freier Natur. Die enorme Anpassungsfähigkeit beider Tierarten ermöglichte es ihnen, die unterschiedlichsten Regionen der Erde zu besiedeln und nebeneinander zu bestehen.

Noch heute finden sich Gebiete wie in Rumänien oder Portugal, in denen Wildpferde und frei lebende Wölfe gemeinsam vorkommen. Gerade diese enorme Anpassungsfähigkeit ließ ihre domestizierten Nachkommen, unsere Hauspferde und -hunde, zu nicht wegzudenkenden Begleitern des Menschen durch alle Epochen der Weltgeschichte werden.

Rund 1,1 Million Pferde und Ponys leben lt. Angaben der FN (Deutsche Reiterliche Vereinigung) in Deutschland. Nach der Ausrottung des Wolfes in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts fasste circa 150 Jahre später das erste Wolfspaar im Jahr 1998 in Sachsen wieder Fuß. Seither entwickelt sich die Wolfspopulation mit aufsteigender Tendenz. Mehr als 40 Wolfsrudel werden inzwischen deutschlandweit gezählt.

Die Geschichte von Pferd und Wolf geht demnach weiter – jedoch unter anderen Parametern: dicht besiedelte Kulturlandschaften statt großflächige Wald- und Graslandschaften und somit begrenzter Lebensraum für Wildtiere.

Wie muss man sich das Nebeneinander von Beutegreifer und Fluchttier vorstellen? Greifen die natürlichen Verhaltensweisen auch unter diesen veränderten Rahmenbedingungen?

Fangen wir bei den Pferden an: In ihrer Evolution spielte die Anpassung an Beutegreifer eine wesentliche Rolle. Die körperliche Leistungsfähigkeit, die Sinnesleistungen und das arttypische Verhalten unserer heutigen Hauspferde sind das Ergebnis einer etwa 60 Millionen Jahre andauernden stammesgeschichtlichen Entwicklung. Die entsprechenden körperlichen Voraussetzungen und Anpassungsmechanismen sind auch bei unseren domestizierten Pferden unverändert vorhanden.

Besonders die optischen und akustischen Sinnesleistungen des Pferdes sind darauf ausgerichtet, Beutegreifer zu entdecken und zu vermeiden. Die wichtigste Rolle spielen dabei optische Reize.

Der Geruch spielt für Pferde in der gemeinsamen Kommunikation und der Futtersuche eine große Rolle, für die Feindvermeidung ist er weniger wichtig. So zeigen Pferde gegenüber Wolfsgeruch nur geringe Verhaltensreaktionen. Es wurde in einem Versuch festgestellt, dass Wolfsurin und -fell zwar intensiv von den Pferden erkundet werden, diese Witterung jedoch zu keinen Stressreaktionen führte. Wurde der Geruch von Wolfsurin allerdings gleichzeitig mit einem plötzlichen akustischen Reiz präsentiert, so zeigten die Pferde eine stärkere Fluchtreaktion. Das demonstriert, dass Pferde zwar keine angeborene Aversion gegenüber Wolfsgeruch haben, dass der Geruch aber ihre Aufmerksamkeit erhöht, wodurch sie im Falle eines Angriffs sofort bereit zur Flucht sind. Bei der Vermeidung von Angreifern halten sich offensichtlich Flucht- und Erkundungsverhalten die Waage. Dieses Verhalten ist biologisch sinnvoll, da wiederholte unnötige Flucht zur Verschwendung körperlicher Reserven führen würde.

In den natürlichen Lebensräumen, die sich Pferd und Wolf seit jeher teilen, ist vor allem der Hengst einer Pferdefamilie für die Verteidigung der Herde zuständig. Pferde sind sehr wehrhafte Tiere, die nicht nur defensive Aggression (zum Beispiel Ausschlagen mit den Hinterbeinen), sondern bevorzugt auch offensives Aggressionsverhalten (gezieltes Verfolgen des Angreifers mit Beißintention) zeigen. Neben dem Hengst sind aber auch die übrigen Pferde an der Verteidigung der Herde beteiligt. So halten sich die Fohlen bei der Flucht in der Mitte der Herde. Ist eine Flucht nicht möglich, bilden die erwachsenen Pferde einen Kreis (Köpfe nach außen) und treten mit den Vorderbeinen nach dem Angreifer. Die Fohlen halten sich im Inneren des Kreises auf.

Natürlich hängen Verteidigungs- und Fluchtverhalten der Herde oder eines einzelnen Pferdes stark von Charakter und Erfahrungen der Tiere ab. Im Falle der naturnah gehaltenen Konikherde in der Oranienbaumer Heide kam es 2015 und 2016 zu den in Deutschland einzigen bestätigten Wolfsübergriffen auf Pferde, genauer gesagt, auf junge Fohlen. Im Jahr 2015 wurde ein Fohlen angegriffen, welches von der Herde erfolgreich verteidigt werden konnte. Im darauffolgenden Jahr starben drei Fohlen durch den Angriff eines Wolfspaares, zwei wurden verletzt, zwei weitere Fohlen blieben verschollen. Hier zeigt sich zum einen, dass bei Pferden in erster Linie junge Fohlen gefährdet sind, und zum anderen wie unterschiedlich effektiv Stuten ihre Fohlen verteidigen können.

Folgendes Experiment, ein simulierter Wolfsangriff auf eine Przewalskiherde, des Berliner Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), gibt interessante Aufschlüsse über angeborenes und erlerntes Verhalten von Pferden.

Seit Ende der 1960er Jahre waren die wilden, asiatischen Przewalskipferde ausgerottet und kamen nur noch in Zoos und Reservaten vor. Nach jahrzehntelanger, weltweiter Erhaltungszucht begannen in den 1990er Jahren erste Auswilderungsprogramme.

Um die Przewalskipferde auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten, wurden unter anderem in einem Semireservat im brandenburgischen Liebenthal vom IZW verschiedene Experimente durchgeführt. So zum Beispiel zum Verhalten der Pferde bei der Bedrohung durch Beutegreifer. Denn der Wolf kommt in den Auswilderungsgebieten in Asien recht häufig vor – für diesen Fall ist bei den Pferden ein gutes Zusammenspiel angeborener und erlernter Verhaltensweisen überlebenswichtig.

Für das Experiment simulierte ein gut ausgebildeter Border Collie einen Wolf. Die zwölf Przewalskistuten bemerkten den sich „anschleichenden“ Border Collie bei dem ersten Versuch erst in circa zehn Metern Entfernung und flüchteten dann unkoordiniert in alle Richtungen. Nach der ersten Flucht übernahm die älteste und erfahrenste Stute aber sofort die Leit- und Schutzfunktion: Sie sammelte die Herde und sorgte bei wiederholten „Angriffen“ mehr und mehr für eine gemeinsame Fluchtreaktion: sie agierten bald als eine Herde. Die Stuten schienen diese ungewohnte Situation regelrecht zu trainieren. Nach einiger Zeit wurde der Hund erneut in das Semireservat Richtung Herde geschickt. Die Przewalskipferde bemerkten ihn frühzeitig und behielten ihn aufmerksam im Auge. Als er näher kam, schloss sich die Herde eng zusammen und ging zum Angriff über. Der Hund hat fluchtartig und unverletzt das Gehege verlassen.

Die originären Instinkte der Przewalskipferde funktionieren noch – nachdem sie erst einmal wieder „geweckt“ wurden. Auch wenn unsere Hauspferde in ihrem Grundverhalten nicht so aggressiv sind wie die asiatischen Wildpferde, so schlummert das genetische Erbe der Feindvermeidung und -abwehr ihrer wilden Vorfahren (dem Tarpan) noch in ihnen.

So viel zum natürlichen Verhalten von Pferden auf Wölfe. Doch wie sieht es andersherum aus? Wie verhalten sich die großen Beutegreifer gegenüber unseren Pferden und Ponys? Wie wahrscheinlich ist der Übergriff eines Wolfes auf ein Pferd?

Als Opportunist jagt der Wolf die Beutetiere, welche er mit möglichst geringem Energieaufwand erlegen kann. Als Risikovermeider versucht er zudem, wehrhaften Tieren aus dem Weg zu gehen. Eine ernsthafte Verletzung, beispielsweise durch den Tritt eines Pferdes, kann für den einzelnen Wolf, und im Falle eines bestehenden Familienverbandes auch für die Welpen, den Hungertod bedeuten. Diese Gefahr sucht der Wolf überlebensstrategisch zu vermeiden. Aus diesem Grund sind Pferde schlichtweg eine „unattraktive“ Beute. Zudem bieten die deutschen Wälder eine hohe Dichte an Schalenwild, welches eine natürliche und einfacher zu erbeutende Nahrungsressource für den großen Beutegreifer darstellt als wehrhafte, gegebenenfalls noch durch Stromzäune geschützte Pferde.

Doch was passiert, wenn die Wolfspopulation zunimmt und der Beutedruck dadurch steigt? Sind Pferde dann stärker gefährdet? Beobachtungen aus der Wildtierbiologie belegen, dass sich die Situation eher umgekehrt verhält: Die Anzahl der Beutetiere bestimmt die Anzahl der Beutegreifer. Wölfe dezimieren nicht ihre eigene Lebensgrundlage, sondern halten den Wildtierbestand durch vornehmliches Bejagen von jungen, alten, kranken und schwachen Tieren im ökologisch gesunden Gleichgewicht. Dass auch gesunde Tiere von dem großen Beutegreifer erlegt werden, ist jedoch nicht ausgeschlossen.

Ist die Nahrungsbasis für den wölfischen Familienverband nicht mehr ausreichend, vergrößern die Wölfe das Territorium. Zudem ist es wahrscheinlich, dass Welpen nicht genügend versorgt werden können, wodurch sich die Überlebenschancen des Nachwuchses verringern. Ohnehin ist die Sterblichkeit bei Wölfen in den ersten zwei Jahren recht hoch – Straßen- und Schienenverkehr stellen unter anderem oft ein tödliches Hindernis dar. Auch durch das Abwandern der Jungwölfe bleibt die Rudelgröße in einem Territorium konstant. So reguliert sich die Wolfsdichte auf natürliche Weise. Die häufig geäußerte Befürchtung, dass die Anzahl der Wölfe in einem Territorium mit jedem Wurf Welpen unbegrenzt zunimmt, ist somit nicht begründet.

Aber trotz des hohen natürlichen Beuteangebots in unseren Wäldern werden die Wölfe leichte Beute nicht verschmähen. Ungeschützte Schafe, Ziegen und junge Fohlen ohne Herdenschutz sind ein im wahrsten Sinne des Wortes „gefundenes Fressen“. Hier besteht ein erhöhter Bedarf an Schutzmaßnahmen wie Stromzäunen, Herdenschutzhunden oder gegebenenfalls nächtliches Aufstallen. Ältere Fohlen sind bei extensiver Haltung in einem natürlichen Herdenverband durch die wehrhaften erwachsenen Pferde gut geschützt. Und das Risiko eines Wolfsangriffs auf erwachsene Pferde ist, wie beschrieben, sehr gering.

Übertriebene Ängste um die Sicherheit unserer Pferde aufgrund der Anwesenheit von Wölfen erscheinen vor dem Hintergrund des natürlichen Verhaltens beider Spezies, der evolutionären Anpassung  sowie der aktuellen Situation in Deutschland wenig angebracht. Denn evolutionär ist die Nachbarschaft von Pferd und Wolf ein alter, aber funktionierender Hut.

Wiebke Wendorff

Wolfsmonitor-Kolumnistin Wiebke Wendorff ist freiberufliche PR-Beraterin und studierte Sprach- und Medienwissenschaftlerin (M.A.). Die Arbeit mit dem geschriebenen Wort gehört zu ihren Leidenschaften. Informationen vermitteln, Wissenswertes begreifbar machen und erfolgreich kommunizieren – diese Intentionen hat sie sich auf ihre Centauri-Kommunikation-Flagge geschrieben (hier der Link zur Centauri-Webseite!). Ihre Jahrzehnte währende Liebe für das wunderbare Geschöpf Pferd und ihr vitales Interesse an dem faszinierenden Wildtier Wolf riefen in ihr einen Wunsch hervor: Zwischen den scheinbar unvereinbaren Welten dieser beiden Tierarten und ihren menschlichen Anhängern zu vermitteln. Im evipo-Verlag erschien im Sommer 2015 ihre ethisch motivierte Broschüre „Pferd und Wolf – Alte Bekannte oder neue Gefahr? (Weitere Informationen zu dieser Broschüre erhalten Sie nach einem „Klick“ auf das nachfolgende Broschürenfoto!)

Die Broschüre "Pferd und Wolf" von Wiebke Wendorff, erhältlich für 3,00 € im evipo-Verlag.
Die Broschüre „Pferd und Wolf“ von Wiebke Wendorff, erhältlich für 3,00 € im evipo-Verlag.