These 7: Der Einsatz von Herdenschutzhunden muss überdacht werden, damit die Schäden, die diese Hunde verursachen, nicht größer werden als die Schäden durch Wölfe
Mit dem Begriff Herdenschutzhunde (kurz HSH) werden die weltweit etwa 40 Hunderassen bezeichnet, die bereits seit Jahrhunderten gezüchtet werden, um Nutztierherden unter dem Einsatz ihres Lebens zu beschützen. Herdenschutzhunde werden oft mit Hütehunden verwechselt. Deren Aufgabe ist es allerdings, Nutztierherden zusammenzuhalten und zu treiben. Hirtenhunde sind wiederum beide. Zu den in Deutschland bekanntesten Herdenschutzrassen dürften der Kuvasz, der Maremmano Abruzzese, der Kangal und der Pyrenäenberghund gehören. Im letzten Jahrhundert waren durch die Abwesenheit der Wölfe in Deutschland keine speziellen Maßnahmen zum Schutz der Nutztiere mehr nötig. Mit der Rückkehr des Wolfes befasst man sich nun jedoch auch hier wieder zunehmend mit diesen ursprünglichen Schutzhundrassen, die seit jeher ihre Herden vor Wölfen, anderen Beutegreifern aber auch vor Dieben und Räubern kompromisslos verteidigen.
Um das Wesen der Herdenschutzhunde im Vergleich zu den bekannten Hunderassen zu beschreiben, habe ich einen Blick in das empfehlenswerte Buch von Thomas Achim Schoke geworfen (Schoke, Herdenschutzhunde, 3. Auflage 2012). Als sicherlich prägnanteste Eigenschaft der Herdenschutzhunde benennt er das Wach- und Schutzverhalten, das häufig so dominant hervorragt, dass andere Eigenschaften der Hunde dahinter zurückstehen. Mit dem Schutzverhalten ist jedoch keine blindwütige Aggressivität verbunden, sondern sind verschiedene Verteidigungsstrategien gemeint, die – mit einfachem Drohverhalten (Knurren, Bellen) beginnend – bei Bedrohungen von den Hunden angewendet werden. Die gesamte Bandbreite dieser Verhaltensformen wird sichtbar, wenn mehrere Herdenschutzhunde im eingespielten Team zusammenarbeiten, wobei jedem Hund eine spezielle Rolle zukommt. Herdenschutzhunde verfügen über eine ausgeprägte Selbstständigkeit und Entscheidungsfreude, da sie auch heute noch in einigen abgelegenen Gegenden ohne Anwesenheit von Hirten eingesetzt werden und bei einer Bedrohung souverän selbst entscheiden (müssen), wie ihr zu begegnen ist.
Die sogenannte Härte der Herdenschutzhunde ist dabei legendär. Hunde dieser Rassen ziehen nach einer schlechten (Kampf-) Erfahrung beim nächsten Mal nicht „den Schwanz ein“, sondern begegnen einer neuen Herausforderung in der Regel erneut mutig. Leider steht diese Härteeigenschaft manchmal der Ausbildung des Hundes im Wege, weil sie der problemlosen Integration der Hunde in ein wie auch immer geartetes Umfeld diametral entgegensteht.
Weil sich ursprüngliche Herdenschutzhunde durch ihren Eigenschaftsmix so sehr von den uns bekannten Hunderassen unterscheiden, stellt Schoke schließlich in seinem Buch fest:
„Keinesfalls kann die Haltung eines Herdenschutzhundes mit der Haltung eines Retrievers, Dackels oder Schäferhundes verglichen werden. Hundehalter, deren Kenntnisse und Fähigkeiten sich auf den Besitz dieser und ähnlicher Rassen begründet, werden nach der Anschaffung eines Herdenschutzhundes eine neue Welt kennen lernen und sich mit einem ganz anderen Hundetyp auseinandersetzen müssen.“
Deshalb spricht der Autor folgende Warnung aus:
„Herdenschutzhunde sind kompromisslose Wächter und Beschützer von Viehherden, sie wachen mit Argusaugen über ihr Territorium, handeln aufgrund eigener Entscheidungen und widersetzen sich erfolgreich halbherzigen Erziehungsversuchen unqualifizierter Ausbilder. Sie sind keine Kuscheltiere, keine Spielkameraden, keine Begleiter bei Freizeit und Sport und auch keine preiswerten Bewacher für Haus und Garten. Natürlich können Herdenschutzhunde für einen engagierten und umsichtigen Hundefreund all dies sein, eine Automatik oder gar eine Zwangsläufigkeit gibt es jedoch nicht.“
Eine Umfrage, die Schoke unter Haltern von Herdenschutzhunden durchführte, bestätigt seine Warnung. Auf die Frage, wie der Hund reagieren würde, wenn sich ein Fremder bei Dunkelheit der Grundstückseinfriedung nähern würde, antworteten knapp 75% der HSH-Halter, dass der Hund die Person verbellen würde und rund 50%, dass die Person massiv durch den Hund bedroht werden würde.
Grundsätzlich allerdings sollte unterschieden werden, ob ein HSH aus einer Arbeitslinie oder aus einer Linie stammt, die es gelernt hat, mitten in der Gesellschaft – zum Beispiel als Familienhund – zu leben. Für die Arbeitslinien gilt die obige Beschreibung in besonderer Weise, das soeben vorgestellte Umfrageergebnis bezieht sich jedoch auch auf die sogenannten Familienhunde.
Petra Krivy veröffentlichte ebenfalls ein Buch über Herdenschutzhunde (Krivy, Herdenschutzhunde, 2. Auflage 2012). Sie bezeichnet darin Hirtenhunde als „Menschheitsgeschichte auf vier Beinen“ und ergänzt die oben bereits skizzierten Eigenschaften durch weitere Merkmale, die HSH auszeichnen. Demnach sind folgende HSH-Merkmale zu ergänzen: Imposante Erscheinung, Bellfreudigkeit, Anspruch auf Individualdistanz, gesteigerte Wachsamkeit bei Dunkelheit, ausgeprägtes Markierverhalten, Genügsamkeit in Bezug auf Ernährung und Bewegung, Ruhe ausstrahlend und in der Regel kein Jagdinstinkt, um nur einige dieser Eigenschaften zu nennen.
Herdenschutzhunde in Deutschland
In Deutschland gehört der Schutz der Nutztiere zu den elementaren Maßnahmen zur Steigerung der Akzeptanz der Wolfsrückkehr. In allen Wolfsmanagementplänen wird darauf Bezug genommen, in der Regel wird neben der Förderung geeigneter Zäune die Anschaffung von Herdenschutzhunden empfohlen und öffentlich bezuschusst.
In Niedersachsen zum Beispiel muss ein „wolfsabweisender Grundschutz“ als Voraussetzung für die Gewährung von Billigkeitsleistungen des Landes (Ausgleich von Rissschäden durch den Wolf) in der sogenannten „Förderkulisse Herdenschutz“ (Gebietskörperschaften, in denen Wolfsvorkommen amtlich bestätigt wurde)spätestens nach Ablauf eines Jahres vorhanden sein, damit der freiwillige Schadensausgleich des Landes bei einem Nutztierriss ausbezahlt werden kann. Dazu werden „Maßnahmen zum Herdenschutz als Prävention vor Wolfsübergriffen in Niedersachsen“ als Präventionsmaßnahme bei der Haltung von Nutztieren gefördert. Die Anschaffungskosten zweier HSH werden demnach bei einer Herdenmindestgröße von 100 Schafen gefördert , bei einer Herdengröße ab 200 Schafen ist für jeweils weitere 100 Tiere ein zusätzlicher HSH förderfähig; bei allen anderen Nutztieren (Ziegen, Gatterwild, Rinder und Pferde, Jagd- und Hütehunde) werden die Anschaffungskosten von zwei oder mehr HSH bezuschusst, sofern „die Zweckmäßigkeit des Einsatzes von Herdenschutzhunden im Einzelfall unter Berücksichtigung der Herdengröße“ gegeben ist. Es werden ausschließlich Hunde der Rassen „Pyrenäenberghund“ oder „Maremmano Abruzzese“ oder Mischungen aus diesen Rassen gefördert, die aus bewährten Arbeitslinien stammen oder ihre individuelle Tauglichkeit als Herdenschutzhund nachgewiesen haben müssen. Nicht förderfähig sind allerdings die Begleit- und Folgekosten der Hundehaltung, insbesondere für Futter, Hundesteuer, Versicherung, Tierarztkosten sowie für die Ausbildung der Hunde und deren Halterinnen und Halter. Außerdem müssen die künftigen HSH-Halter eine mindestens einjährige Erfahrung im Einsatz mit Herdenschutzhunden in einer eigenen oder ihr oder ihm zur Betreuung überlassenen Nutztierherde nachweisen oder alternativ eine entsprechende Schulung erfolgreich abschließen.
Ich möchte Sie nicht weiter mit den beispielhaften Einzelheiten einer einzelnen Förderrichtlinie behelligen und nun kurz einen Blick auf das Geschehen in Deutschland werfen.
Informationen über Herdenschutzhunde
Ratsuchende finden zurzeit zwei Fachorganisationen in Deutschland, die ihnen für spezielle HSH-Fragen zu den Arbeitslinien zur Verfügung stehen, das sind einmal
• die „Arbeitsgemeinschaft-Herdenschutzhunde e.V.“, (hier finden Sie den Link)
• und der „Verein für arbeitende Herdenschutzhunde in Deutschland e.V.“ (hier der Link).
Auch die deutsche „Gesellschaft zum Schutz der Wölfe“ (GzSdW) verfügt über langjährige Erfahrungen im Herdenschutzmanagement und hält geeignetes Informationsmaterial zu Download auf ihrer Webseite zur Verfügung (hier der Link).
Hervorragendes Informationsmaterial ist ergänzend auf den Webseiten einiger entsprechender Schweizer Organisationen zu entnehmen. Auf folgenden Webseiten werden Interessierte hierzu fündig:
• agridea, (hier der Link)
• Herdenschutz Schweiz (hier der Link)
• Kora (hier der Link)
• Gruppe Wolf, Schweiz (hier der Link)
• swiss sheep dog society (hier der Link)
• Herdenschutzzentrum Jeizinen (hier der Link)
Hier können zahlreiche Infomaterialien bis hin zu Projektevaluationsberichten abgerufen werden, zum Beispiel Einzelheiten zum „Pilotprojekt Rinderschutz“.
Schäden durch Herdenschutzhunde
Nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrungsberichte aus der Schweiz wurde diese 7. These auf Wolfsmonitor formuliert, denn in der Theorie hören sich manche Versprechungen besser an, als sie sich in der alltäglichen Praxis beweisen. So lässt sich dem „Jahresbericht des Herdenschutzes Schweiz 2014“ (hier der Link) die Information entnehmen, dass sich in den Jahren ab 2011 in der Schweiz bei insgesamt „nur“ 23 nachgewiesenen Wölfen immerhin 38 „Beissvorfälle“ mit Herdenschutzhunden ereignet haben, 28 davon richteten sich gegen Menschen, 10 gegen deren hündischen Begleiter. Es kann darauf geschlossen werden, dass die betroffenen Menschen nicht ausreichend über das besondere Wach- und Schutzverhalten dieser alten Hunderassen informiert waren und dass das daraus ergebene „Fehlverhalten“ ursächlich für viele Verletzungen war.
Ein weiteres Beispiel, das ich anführen möchte – auch wenn ich die Seriosität der Quelle und der Übersetzung nicht wirklich garantieren kann – zeigt, dass der Einsatz von HSH leider auch keine Garantie für den dauerhaft erfolgreichen Herdenschutz sein muss. Folgender Artikel, den ich hier einmal verlinke, beschreibt, wie eine Gruppe von sieben Herdenschutzhunden nach einer Wolfsrudelattacke maßgeblich dezimiert wurde und den betroffenen Schäfer vor völlig neue Herausforderungen stellt. Eine Anmerkung sei allerdings erlaubt: Ich teile nicht die Empfehlung des Autors am Ende des Artikels.
Weitere Informationsquellen zum Einsatz von Herdenschutzhunden
Für den schnellen Einsatz zum Schutz vor Wolfsattacken gab es sowohl in der Schweiz als auch in Brandenburg Projekte zum „mobilen Einsatz von Herdenschutzhunden“. Dieser Link führt Sie zu Einzelheiten zum Einsatz mobiler HSH in der Schweiz, ergänzend finden sie hier eine kurze Projektbeschreibung eines ähnlichen Projektes des WWF in Brandenburg. Über erste Erfahrungen mit Herdenschutzhunden in den Schweizer Alpen gibt es zudem einen öffentlich zugänglichen Bericht von Jean-Marc Landry (hier der Link), der zudem einen guten Überblick über weitere HSH-Projekte in Europa gibt. Zuletzt soll an dieser Stelle, nachdem es seit einiger Zeit auch in Deutschland eine nicht geringe Anzahl an Wolfsübergriffen auf Rinder gibt, noch ein Bericht zum Rinderschutz vorgestellt werden, der hier abrufbar ist.
Herdenschutzhunde – die Quintessenz
Nach der ausgiebigen Lektüre der vorliegenden Quellen muss bezweifelt werden, ob der Einsatz von Herdenschutzhunden zum Schutz von Nutztieren als die Lösung „per se“ empfohlen werden kann. Viele Voraussetzungen müssen stimmen, damit diese Hunde problemlos eingesetzt werden können und nicht selber zum Problem werden. Zuerst einmal müssen die Nutztierhalter wissen, worauf sie sich bei solch speziellen Hunderassen eigentlich einlassen. Sie brauchen zudem ein sensibles „Händchen“ für die zur Selbstständigkeit neigenden Hunde. Dazu müssen die Art der jeweiligen Nutztierhaltung, die Zuchtsystematik und die jeweils geografischen Gegebenheiten berücksichtigt werden. Auf einem Deich zum Beispiel, wird der Einsatz von HSH schwieriger sein als auf einer weitläufigen Weide im bevölkerungsarmen Brandenburg. Außerdem gilt, dass vor allem die Kombination von HSH u n d entsprechend gesicherten Zäunen den besten Schutz vor Beutegreifern bieten. Positiv anzumerken ist, dass sich bereits heute einige Vereine in Deutschland diesen speziellen Themen inhaltlich widmen und sogar bereits Regelungen vorliegen, wie HSH „zertifiziert“ werden können. Sollte es jedoch zum flächendeckenden Einsatz dieser Hunde bei der Nutztierhaltung in Deutschland kommen, braucht es weitere öffentlichkeitswirksame Initiativen, die eine unvorbereitete Bevölkerung darüber aufklärt, wie sie sich gegenüber solchen Hunden richtig zu verhalten hat. Der Jahresbericht aus der Schweiz beweist, dass das Risiko für den Urlauber, Spaziergänger oder Wanderer, von einem Herdenschutzhund verletzt zu werden, vielfach größer ist, als jemals von einem Wolf „belästigt“ zu werden.
Fazit:
Sind jedoch die genannten Voraussetzungen gegeben, gibt es zurzeit wohl keine wirksamere Alternative zum Schutz der Nutztiere vor Wölfen, als die Kombination von (Elektro-) Zaun und Herdenschutzhund in stetiger Anwesenheit eines Schäfers, der im Zweifel seine Hunde „zurückpfeifen“ kann. Es wird allerdings auch an Einsätzen von für den Menschen harmloseren Herdenschutzeseln, Lamas und Alpakas zur Wolfsabwehr geforscht. Die bisher dazu vorliegenden Erkenntnisse widersprechen sich jedoch häufig.
Die für das Wolfsmanagement Verantwortlichen betonen zurzeit in fast jeder öffentlichen Stellungnahme, dass der Schutz des Menschen vor dem Schutz des Wolfes an erster Stelle stehe. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, die nicht weiter in Frage zu stellen ist. Die Realität in der Schweiz zeigt jedoch, dass in diesem Zusammenhang der Schutz vor Herdenschutzhunden nicht außer Acht gelassen werden sollte. Insofern sollte die Frage erlaubt sein, ob die in den Wolfsmanagementplänen und Richtlinien der Bundesländer beschriebenen Auflagen zum Einsatz von Herdenschutzhunden ausreichend sind oder ob es nicht weiterer Bemühungen bedarf, die Öffentlichkeit hinsichtlich dieser speziellen Hunderassen aufzuklären.
Herzlichst
Ihr
Jürgen Vogler
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