Jim Brandenburg: Sind Wölfe verschlagen und böse? – Wolfsmonitor

Jim Brandenburg: Sind Wölfe verschlagen und böse?

„Einige Naturvölker glauben, dass die Fähigkeit der Wölfe, schwache oder dumme Tiere herauszupicken, auf mystischen oder übersinnlichen Fähigkeiten beruht. In der Tat erscheinen ihre Fähigkeiten selbst dem unbefangenen Beobachter übersinnlich, wahrscheinlich sind sie jedoch nichts weiter als die hochentwickelte Fähigkeit, mit allen Sinnen zugleich wahrzunehmen.

Dass Wölfe die Verwundbarkeit ihrer Beute wahrnehmen, sollte uns nicht überraschen. Wieso suchen sich Diebe nur bestimmte Menschen aus und lassen andere in Ruhe? Warum werden Menschen, die sich vor Hunden fürchten, am meisten gebissen? Offensichtlich haben weder Menschen noch Hunde gänzlich die Fähigkeit verloren, zu werten, indem sie winzige Details der Körpersprache wahrnehmen, d.h. die Verletzbarkeit eines Geschöpfes, dem sie begegnen. Nicht ohne Grund empfehlen Polizisten und Sicherheitspersonal schwächeren Personen, sich den Anschein von Selbstvertrauen zu geben. Auf diese Weise vermeidet man es, „zur Beute zu werden“.

Seit Jahrtausenden führte das Überleben der Wölfe dazu, Menschen glauben zu lassen, Wölfe seien verschlagen oder böse. Stellen Sie sich einen einfachen Hirten vor, der seine Schafe hütet. Blickt er auf, sieht er Wölfe am Waldrand, die seine Schafe ausspähen. Die Wölfe sind geduldig. Sie bleiben stundenlang dort. Vielleicht erscheinen sie regelmäßig, mehrere Tage hintereinander. Endlich greifen sie an und töten ein Schaf. Die Wartezeit muss dem Hirten ebenso furchtbar erscheinen wie der Verlust des Schafes.

Vorsätzliche Handlungsweisen – besonders solche, die Verlust bedeuten – wurden vom Menschen schon immer als böse eingestuft. In diesem speziellen Fall enthielt der Vorsatz der Wölfe jedoch nicht mehr Bosheit, als unser Vorsatz, einen samstäglichen Einkauf im Supermarkt vorauszuplanen.“…

(Quelle: Jim Brandenburg (*1945), preisgekrönter amerikanischer Naturfotograf, Filmemacher und Buchautor, zitiert aus: “Bruder Wolf –  Das vergessene Versprechen”, Tecklenborg Verlag Steinfurt 1996, Seite 49; weitere Informationen zum Autor und zum Buch finden Sie nach einem Klick auf nachfolgenes Buchcover.  Jim Brandenburgs Blog finden Sie hier!)


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